Praxis-Probleme bei der Unterscheidung von variablen und fixen Kosten

Controllers Trickkiste: Variabilität von Kosten richtig einschätzen

Dr. Peter Hoberg
Für viele Entscheidungen muss der Controller ermitteln, ob bzw. in welchem Ausmaß die ausgelösten Kosten variabel sind. Denn bei Variabilität ändern sich die Kosten, sobald die Beschäftigung variiert. Die Beschäftigung ihrerseits kann in der produzierten Menge bestehen, in der zurückgelegten Strecke eines Fahrzeuges, in der Produktionszeit usw..

Die Unterscheidung in fix und variabel gehört eigentlich zum gut beherrschten Handwerkszeug des Controllers. Aber die Anwendung in der Praxis ist nicht trivial und sorgt immer wieder für viel Verwirrung, weil es Fälle gibt, in denen alte Gewissheiten als falsch entlarvt werden. So können Materialkosten ausnahmsweise nicht variabel sein und Personaloverhead kann variabel sein, was den Lehrbüchern widerspricht (vgl. zur üblichen Darstellung Wöhe/Döring/Brösel, S. 288 ff.).

Häufig wird zur Abbildung der fixen und variablen Kosten eine lineare Kostenfunktion verwendet (vgl. z. B. Varnholt/ Hoberg/ Gerhards/ Wilms/ Lebefromm, S. 51 ff.):

K = Kfix + kvar * x in €/Pe
K Periodengesamtkosten in €/Pe
K(fix) Periodenfixkosten in €/Pe
k(var) Variable Stückkosten in €/ME
x Ausbringungsmenge guter Stücke in ME/Pe

Gemessen wird diese Kostenfunktion in € in der Mitte der betrachteten Periode, was mit €/Pe abgekürzt wird (vgl. zum Anfall in der Periodenmitte Hoberg (2004), S. 271 ff.). Kosten sind somit Periodengrößen im Gegensatz zu Zahlungen, die zu bestimmten Zeitpunkten anfallen.


Die Fixkosten Kfix (in €/Pe) dienen der Herstellung der Betriebsbereitschaft (vgl. Wöhe/Döring/Brösel, S. 288). Zu präzisieren ist, dass sie nicht nur der Herstellung, sondern auch der Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft dienen. Interessant ist der Koeffizient kvar (in €/ME), der angibt, wie sich die Periodenkosten ändern, wenn die Menge steigt oder fällt. Wenn die Kostenfunktion K = 1000 +10*x beträgt, so wachsen die Kosten um 10€ für jede zusätzliche Mengeneinheit. 

Für nicht lineare Kostenfunktionen muss die erste Ableitung der Kostenfunktion gebildet werden, welche ebenfalls die Einheit €/ME aufweist. Mit dem Wissen um die Kostenvariabilität können z. B. folgende wichtige Aufgaben erledigt werden:

  • Deckungsbeiträge ermitteln, mit denen dann das Produktionsprogramm festgelegt werden kann
  • Optimale Produktionsverfahren bestimmen
  • Make or Buy Entscheidungen treffen
  • Break-even Größen bestimmen
  • Gute Schichtmodelle finden
  • Vorteilhaftigkeit von Verkaufsförderung berechnen usw.

Die Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz besteht darin, dass dieser variable Kostensatz richtig ermittelt wurde. Dabei ist jedoch festzustellen, dass es je nach Entscheidungssituation viele unterschiedliche Sätze gibt.

Einige für variabel gehaltene Kosten sind dann gar nicht variabel, während andere, die oft als Fixkosten bezeichnet werden, dann mengenvariabel sind. Wie die Praxis zeigt, können die Auswirkungen gravierend sein. Im Reporting kann es dadurch falsche Voraussagen bezüglich der Frage geben, wie sich das Ergebnis ändert, wenn Mengen dazukommen oder wegfallen.

Noch schlimmer sind Fehlentscheidungen, die darauf zurückzuführen sind, dass zu große oder zu geringe Anteile variabel sind. Eine Werbemaßnahme ist dann ggf. nicht vorteilhaft, wenn die Deckungsspanne für die zusätzlichen Mengen geringer als gedacht ist, weil vermeintliche Fixkosten doch noch zusätzlich anfallen.

Grundlagen

In der Deckungsbeitragsrechnung erfolgt üblicherweise eine Kostenspaltung in fixe und variable Kosten, wobei für den letzten Fall fast immer eine stetige lineare Kostenfunktion unterstellt wird. Während die Linearität für enge Intervalle teilweise akzeptiert werden kann, muss jedoch festgestellt werden, dass die Anforderung der Stetigkeit häufig verletzt wird. Wann immer im Einkauf neue Mengenstaffeln verhandelt werden, erfolgen Sprünge (vgl. zu einem Lösungsansatz bei nicht stetigen Funktionen Hoberg (2018b), S. 1937 ff.).

Neben diesen eher prinzipiellen Problemen zeigt die Praxis, dass die Bestimmung des Grades der Variabilität schwierig werden kann. Die meisten Unternehmen nehmen zwar eine Einteilung in variabel oder "nicht variabel" vor. Und variabel heißt dann kurzfristig entscheidungsrelevant. Dies stimmt jedoch in einigen Fällen nicht, was sich leicht an den Energiekosten zeigen lässt.

Während der Strom für den Antrieb von Maschinen praktisch immer weitgehend variabel ist, sind die Kosten für die Beleuchtung und die PCs in der Verwaltung fast mengenunabhängig. Der Strom in der Produktion z. B. für Heizen, Kühlen, Beleuchten, Reinigen usw. wird üblicherweise den Fixkosten zugeordnet, was aber nicht immer zutrifft.

Die folgende Abbildung zeigt in der Hauptdiagonalen die beiden üblichen Fälle der Einteilung in variabel bzw. entscheidungsrelevant:

Standardfall 1: Die Kosten werden als variabel eingestuft und sind dann auch entscheidungsrelevant. 
Standardfall 2: Die Kosten werden als unabhängig von den Mengen erfasst und sind somit in der eher kurzfristig ausgelegten Deckungsbeitragsrechnung nicht relevant.

 Trickkiste_Variabilität_Abb1.jpg
Abb. 1: Entscheidungsrelevanz von fixen und variablen Kosten

Jenseits dieser Standardfälle gibt es Sonderfälle, welche sich insb. auf der Ebene bestimmter Kostenarten zeigen.

Die wichtigsten Kostenarten stellen bei den meisten Unternehmen die Personalkosten und die Beschaffungskosten für Roh- Hilfs- und Betriebsstoffe dar. Letztere können meistens leichter an unterschiedliche Beschäftigungen angepasst werden, indem mehr oder weniger bestellt wird. Bei den Personalkosten gibt es die gesamte Bandbreite: Von 100% variabel bis 100% fix. Im hohen Ausmaß hängt die Variabilität vom Setup der Produktion und von der Qualität des Managements ab.

Aber auch in anderen weniger dominanten Kostenarten, wie z. B. der Energie, können als Fixkosten eingestufte Stromkosten für die Beleuchtung der Produktionshallen variabel sein. Zunächst aber sei der eher seltene Sonderfall 2 betrachtet, bei dem variable Kosten nicht entscheidungsrelevant sind. 

Variable Kosten, die nicht/kaum variabel sind

Erstaunlicherweise können auch Rohstoffkosten zu nicht variablen Kosten führen, wenn in den Verträgen mit den Lieferanten eine Abnahmepflicht vorgesehen ist. Dann sind diese Kosten sunk cost, soweit sie nicht anderweitig verwendet werden können. Auch können hohe Vertragsstrafen (Penalties) vorgesehen sein für den Fall, dass vereinbarte Mengen nicht abgenommen werden.

Bei Fahrzeugen ändern sich Wartungskosten nicht, wenn die zeitliche Grenze früher erreicht wird als die kilometerbezogene. Wenn für ein Fahrzeug gilt, dass es jährlich oder nach 30.000 km/a zur Inspektion gebracht werden muss, so ändern sich die Wartungskosten nicht, wenn der Nutzer 25.000 km/a statt 20.000 km/a fährt.

Fixe Kosten, die variabel sind

Umgekehrt gibt es einige Kosten, die üblicherweise zu den fixen gezählt werden, die aber in bestimmten Situationen variabel sind. Entscheidend für die Variabilität ist die Antwort auf die Frage, wie sich ein Unternehmen anpasst, wenn sich die Mengen (allgemeiner: Beschäftigung) ändern. Zunächst sei betrachtet, wie ein Unternehmen zusätzliche Mengen produzieren kann. Die allgemeine Antwort lautet seit Gutenberg, dass die Anpassungen

  • intensitätsmäßig
  • quantitativ oder 
  • zeitlich 

erfolgen können (vgl. z. B. Wöhe/Döring/Brösel, S. 301 ff.). Eine intensitätsmäßige Anpassung ist kurzfristig fast nie möglich, weil die Maschinen mit der maximal sinnvollen Geschwindigkeit gefahren werden. Auch eine Mengensteigerung durch zusätzliche Maschinen ist kurzfristig kaum machbar, es sei denn, es wären einige Maschinen nicht in Betrieb (Unterbeschäftigung). Aber selbst dann würde es sich meistens empfehlen, mit allen Maschinen zu fahren, dafür aber kürzer, also z. B. mit weniger Schichten.

Trickkiste_Variabilität_Abb2.jpg
Abb. 2: Beispiel für eine Produktionsstruktur

Somit bleibt im kurzfristigen Bereich hauptsächlich die zeitliche Anpassung. Nur selten wird es möglich sein, die gewünschten Produkte über die isolierte Erhöhung der Produktionszeit einer einzelnen Maschine zu erreichen. Stattdessen wird das Unternehmen länger arbeiten oder sogar zusätzliche Schichten z. B. am Wochenende oder an Feiertagen ansetzen.

Beispiel:
Wenn z. B. ein Fahrzeughersteller seinen Output erhöhen will/muss, so wird er häufig mit der Anordnung ganzer zusätzlicher Schichten reagieren. Denn mit jeder Schicht fallen in praktisch jeder Branche schichtanzahlspezifische Kosten an z. B. für Vorbereitung, Umrüstung, Reinigung, Erhitzung, Kühlung, Wartung, Antrittsprämie für ungeliebte Schichten usw. Diese Kosten sollten über möglichst viele Schichtstunden verteilt werden.

Auch wird man die Mitarbeiter nur schwer überzeugen können, für eine halbe Schicht anzutreten. In anderen Produktionen wie der Fließ(band)fertigung müssen prinzipbedingt alle Stationen arbeiten. Es lässt sich somit festhalten, dass in vielen Branchen die Mengenanpassung über die Anzahl der Schichten durchgeführt wird.

Mit Hilfe des Fertigwarenlagers können dann Mengen unterhalb der Ausbringungsmenge einer Schicht abgepuffert werden. Die Variabilität liegt dann nicht in Ebene 1 (siehe Abb. 1), sondern in Ebene 3 oder 4. Somit muss im nächsten Schritt bestimmt werden, wie hoch die zusätzlichen Kosten sind, wenn eine zusätzliche Schicht gefahren wird, bzw. wenn eine Schicht abgesagt wird.

Personalkosten aufgrund zusätzlicher Schichten

Aufgrund der in der Praxis relevanten Anpassung über die Anzahl von Schichten muss die Definition von Variabilität von Kosten, wie sie in der Literatur üblich ist, vollständig neu gefasst werden. Im Wöhe (S.  289) ist so zu lesen, dass (nur)  Akkordlöhne variabel seien. Dies würde nur in ganz kurzen Phasen der Unterbeschäftigung zutreffen.

Aber es ist ja gerade eine wesentliche Aufgabe der Unternehmensleitung, den Bedarf und das Vorhandensein von Arbeitskräften zu synchronisieren. Dazu stehen zahlreiche Instrumente zur Verfügung:

  • Jahresarbeitszeitmodell: Dieses Instrument gehört zu den wichtigsten Mitteln, um die Produktionsmengen an die tatsächlichen bzw. erwarteten Nachfragemengen anzupassen. Dabei arbeiten die Mitarbeiter in der Hochsaison (= erwartete Mehrarbeit) vor und feiern diese Zeiten in der Nebensaison wieder ab. Auch für die Mitarbeiter kann diese Möglichkeit interessant sein, wenn sie nicht gerade in der Hochsaison Urlaub machen wollen.

  • Teilzeitkräfte für arbeitsintensive Phasen

  • Springer, die z. B. für Pausenablösungen eingesetzt werden können. Das können auch Schichtleiterassistenten/innen sein.

  • Zeitarbeiter: Für einfache Tätigkeiten ohne lange Einarbeitung können auch Zeitarbeiter eingesetzt werden (vgl. zu den hohen Kosten der Einarbeitung Hoberg (2018a), S. 17 ff.). Wegen der fehlenden Erfahrung im Unternehmen muss das Problem der Qualität genau beachtet werden. Es müssen somit erfahrene Mitarbeiter zur Verfügung stehen, um die Zeitarbeiter zu unterstützen. Andererseits können sich die Zeitarbeiter profilieren, so dass sie dann übernommen werden können.

Wenn diese Maßnahmen richtig durchgeführt werden, können die Phasen der Unterbeschäftigung abgepuffert werden, indem die Arbeitszeiten in die Hochsaison verlagert werden. Dies bedeutet allerdings auch, dass das Unternehmen für zusätzliche Schichten zusätzliche Mitarbeiter benötigt, und zwar auf allen Positionen.

Das Stundenkonto der Mitarbeiter füllt sich dann. Wichtig ist, dass das Stundenkonto später auch wieder ausgeglichen wird. Die Praxis zeigt, dass die Mitarbeiter keine Zeitschulden beim Arbeitgeber haben wollen. Zudem wollen sie Zeitflexibilität aufbauen, um bei privaten Anlässen dem Arbeitsplatz fern bleiben zu können, ohne den Jahresurlaub dafür angreifen zu müssen.

Für den aus Sicht des Autors sehr häufigen Fall der Anpassung über die Schichtanzahl müssen auch weitere Personalkosten von fix auf weitgehend variabel umgeschlüsselt werden, was in den ERP-Programmen kaum möglich sein wird. Denn wenn es um schichtanzahlvariable Personalkosten geht, sind auch die Kosten für Elektriker und Schlosser einer Schicht variabel.

Das Gleiche gilt für die Mitarbeiter, welche für die Materialbereitstellung sorgen, und diejenigen, die ggf. das Produkt mixen, und auch solche, welche die Produkte palettieren und im Lager in Empfang nehmen. Handelt es sich um ein Hochregallager sind die Kosten für Wertverzehr und Kapital – da fix - herauszurechnen. Das Verhältnis von Gesamtzahl der Mitarbeiter in einer Schicht zu dem direkten Personal kann je nach Produktionsmodell durchaus 10 : 1 betragen. Der Fehler kann somit riesig sein. Damit lässt sich die entscheidende Schlussfolgerung ziehen, dass in der Realität viel mehr Kosten weitgehend variabel sind als wenn man nur die "offiziellen" variablen Kosten der Maschinen betrachtet.

Wegfall von Schichten

Die hohe Variabilität der Kosten gilt selbstverständlich auf für den Fall, dass infolge eines Absatzrückgangs die Schichtanzahl reduziert wird. Dann entfallen alle Personalkosten, die im Zusammenhang mit einer Schicht stehen. Diese Erkenntnis ist außerordentlich wichtig, weil solche Rationalisierungsinvestitionen, die dazu führen, dass ganze Schichten entfallen können, deutlich höhere Einsparungen bringen, als wenn nur die typischen für variabel gehaltenen Kosten angesetzt werden.

Und es muss auf eine weitere Fehlerquelle hingewiesen werden, die leider in der Praxis häufig auftaucht. Wenn über den Wegfall von Schichten diskutiert wird, kalkulieren einige Controller mit durchschnittlichen Schichtkosten. Dies ist nicht korrekt und kann zu größeren Fehlern führen. Denn die Regel ist: Teure Nachtschichten fallen als erstes weg, die häufig mit einem Zuschlag von 50% bezahlt werden müssen. Insofern sind die Einsparungen noch höher, wenn durch Rationalisierungsmaßnahmen Schichten gestrichen werden können, weil die Unternehmen beim Streichen selbstverständlich die teuersten Schichten auswählen werden, nämlich die an Feiertagen, Sonntagen und in der Nacht.

Allerdings ist auch hier die umgekehrte Schlussfolgerung zutreffend. Wenn bei gegebenen Kapazitäten und ausgelasteter 2-Schichtproduktion mehr Mengen gebraucht wird, geht dies nur über teure Nachtschichten. Die Grenzkosten beim Personal steigen somit, wobei die anteiligen zeitabhängigen Abschreibungen nicht berücksichtigt werden müssen.

Beispiel der Auswirkungen

Ein Beispiel soll die möglichen Fehlentscheidungen durch den falschen Ausweis von variablen Kosten zeigen. Es wird gefragt, ob eine zusätzliche Produktvariante auf dem gleichen Maschinenpark gefahren werden soll. Der Einfachheit halber sei angenommen, dass die Variante nur für ein Jahr vermarktet werden soll.

Gezeigt werden drei Kalkulationen. Neben der Standardvariante, die Ergebnisse bei "normaler" variabler Kalkulation und dann schließlich in der letzten Spalte die Kalkulation mit schichtanzahlvariablen Kosten. Für alle drei Kalkulationen ist im ersten Schritt der Nettopreis zu bestimmen, was in kaum einem Unternehmen korrekt durchgeführt wird. Meistens werden Abzüge vergessen, so dass überschätzt wird, was vom Kunden letztendlich kommt.

Berücksichtigt werden müssen alle Rabatte (in der Rechnung, auf den Rechnungsbetrag und Rückvergütungen) und die Effekte der Zahlungsziele (vgl. Varnholt/ Hoberg/ Gerhards/ Wilms/ Lebefromm, S. 133 ff.). In der Literatur wird die Wirkung der verschiedenen Rabatte "price waterfall" bezeichnet (vgl. Vohra/Krishnamurthi, S. 74 ff.), wobei in der Realität noch mehr Erlösreduktionen anfallen. Es fehlen z. B. die Effekte von Zahlungszielen und die Nachteile aufgrund von subventionierten Krediten. 

Im Folgenden wird der Nettopreis so ermittelt, dass wirklich alle Erlösschmälerungen inklusive eventueller Finanzierungskosten abgezogen sind. Zudem sei auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Zeitpunkte der Zahlungen genau festzulegen. Zunächst werden in Abb. 3 die in der Rechnung ausgewiesenen Rabatte vom Listenpreis abgezogen, so dass der Nettopreis 1 entsteht ((Zeile 3). Dann dürfen die B2B Kunden häufig weitere Rabatte vom Rechnungspreis abziehen, so dass der Lieferant deutlich weniger Geld erhält als auf der Rechnung gefordert wird. Im Beispiel wird 12% angenommen (Zeile 4), wobei auch schon 30% in der Praxis vereinbart wurden. 

Das nächste Problem für den Lieferanten besteht darin, dass er nicht nur viel weniger Geld bekommt, sondern dass dieses auch noch deutlich später gezahlt wird, weil Zahlungsziele vereinbart wurden bzw. nicht pünktlich gezahlt wurde. Im Beispiel vergehen 90 Tage von der Lieferung/Fakturierung bis zum Zahlungseingang (Zeile 6). Der Wert des Zahlungseingang per Lieferzeitpunkt ergibt sich dann durch Abzinsung über 90 Tage bei einem effektiven Jahreszinssatz (Wacc weighted average cost of capital) von 8%. Gemäß Zeile 7 erhält der Lieferant dann 60,44 €6/ME6.

Die Einheiten € und ME sind mit einem Zeitindex versehen, um eine präzise Zeitzuordnung zu ermöglichen. In diesem Fall wurde ein Monatsindex gewählt, der zeigt, am Ende welchen Monats die Zahlungen anfallen bzw. auf welchen Monat sie durch Auf- und Abzinsen bezogen wurden (vgl. zu diesem präziseren Ansatz Hoberg (2019), S.  2753 ff.) . Die Zahlung ist somit auf das Ende des 6. Monats bezogen, weil in der Kosten- und Leistungsrechnung die durchschnittlichen Größen auf die Jahresmitte bezogen werden (vgl. zu dieser impliziten Prämisse Hoberg (2004), S. 271 ff.). Und auch die Lieferung bezieht sich auf das Ende der 6. Periode wie die Einheit ME6 zeigt. 

Es ist offensichtlich, dass auch die folgenden Erlösschmälerungen und die variablen Kosten auf die Jahresmitte bezogen werden müssen. Ansonsten ist eine Saldierung nicht statthaft. Die Rückvergütung (Zeile 9) ist am Ende des Jahres zu zahlen, also beträgt die Einheit €12, was dann auf die Jahresmitte abgezinst werden muss.

Das Ergebnis befindet sich in Zeile 10. Für die Handelsförderung wird unterstellt, dass sie bereits zur Jahresmitte bezahlt wird, so dass dann nach Saldierung in Zeile 13 der Betrag steht, der dem Unternehmen zur Jahresmitte zufließt. Im Vergleich zur Standardspalte sind die zufließenden Preise gemäß Zeile 13 für die beiden neuen Varianten geringer, weil zusätzlicher Rabatt nach der Rechnung gegeben werden muss (Zeile 4) und mehr Handelsförderung in Form von Listungsgebühren (Zeile 12).

Trickkiste_Variabilität_Abb3.jpg  
Abb. 3: Einfluss falscher Variabilität auf die Vorteilhaftigkeit

Ab Zeile 14 werden die variablen Stückkosten dargestellt. Beim Inhalt möge es keine Unterschiede geben, während bei der Verpackung zusätzliche Mengenrabatte verhandelt werden können, wenn die Mengen durch die neue Sorte steigen. Der große Unterschied liegt nun in den Personalkosten. Umgerechnet auf ein Stück fallen direkt an der Maschine 5 Minuten pro ME des Endproduktes an. Aber dadurch, dass ganze Schichten hinzukommen, sind auch die Schichtmitarbeiter, welche nicht direkt an der Maschine arbeiten, entscheidungsrelevant. Im Beispiel wird so die vierfache Zeit benötigt, was dann auch die vierfachen Kosten bedeutet.

Es wird zur Vereinfachung angenommen, dass alle betrachteten variablen Stückkosten nach 3 Monaten anfallen (Zeilen 15 -20), so dass sie insgesamt 3 Monate auf den gleichen Vergleichszeitpunkt nach 6 Monaten aufgezinst werden müssen. Zeile 21 zeigt dann den aufgezinsten und damit vergleichbaren Wert. Jetzt kann in Zeile 22 die Deckungsspanne berechnet werden. Durch die richtige Verrechnung der höheren variablen Personalkosten und sonstigen Kosten liegt die Deckungsspanne in der letzten Spalte deutlich niedriger.

Anschließend kann durch die Multiplikation mit den zusätzlichen Mengen ermittelt werden, welcher zusätzliche Deckungsbeitrag erzielt wird (Zeile 24). Der (falsche) Wert für den Ansatz mit geringen variablen Kosten liegt mit 134 T€6 deutlich höher als der korrekte Wert in Spalte 3. 

Von diesem Deckungsbeitrag wird nun die zusätzliche Marktinvestition abgezogen, um schlussendlich zum zusätzlichen Deckungsbeitrag der gesamten Variante zu kommen. Wie Zeile 26 zeigt, ist dieser Wert mit 34 T€6 deutlich positiv in Spalte 2. Aber aus der Spalte 3 lässt sich entnehmen, dass bereits auf der Deckungsbeitragsebene ein Verlust generiert wird. Über die Deckung der Fixkosten ist dabei noch nicht diskutiert worden. 

Die vollständige Erfassung insb. der variablen Stückkosten kann das Unternehmen wie im Beispiel vor Fehlentscheidungen bewahren. Nur am Rande sei auf die Problematik der zusätzlichen Stückzahlen gemäß Zeile 23 hingewiesen. Nicht selten schätzen Unternehmen diese Menge zu hoch ein, weil der  Effekt der Kannibalisierung unterschätzt wird. Denn die neuen Varianten werden zu einem Absatzrückgang bei den schon vorhandenen führen.

Schlussbemerkung

Es wurde gezeigt, dass sich die Frage der Variabilität von Kosten viel komplizierter darstellt als es in den Unternehmen und auch in den Lehrbüchern dargestellt wird. Die Schlüsselfrage lautet: "Wie passt sich das Unternehmen an, wenn die Mengen steigen oder fallen?" In vielen Unternehmen ist die kleinste Einheit eine Schicht. In diesem Fall sind dann auch alle Kosten variabel, die von der Anzahl der Schichten abhängen. Dadurch kann der Anteil der variablen Kosten wachsten, so dass bei Mengensteigerungen geringere Deckungsspannen erzielt werden. Damit können die Entscheidungen ganz anders ausfallen. Die Unternehmen sind gut beraten, wenn sie sich die Variabilität ihrer Kosten nochmals genauer anschauen.




letzte Änderung P.D.P.H. am 22.08.2022
Autor:  Dr. Peter Hoberg


Autor:in
Herr Prof. Dr. Peter Hoberg
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms. Seine Lehrschwerpunkte sind Kosten- und Leistungsrechnung, Investitionsrechnung, Entscheidungstheorie, Produktions- und Kostentheorie und Controlling. Prof. Hoberg schreibt auf Controlling-Portal.de regelmäßig Fachartikel, vor allem zu Kosten- und Leistungsrechnung sowie zu Investitionsrechnung.
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