In seinem berühmten Werk von 1869 "Die Entstehung der Arten" beschreibt Darwin "Fit" oder "Fitness" als den Grad der
Anpassung an die Umwelt . Nicht die Art überlebt, die allem trotzt und andere Arten verdrängt, sondern diejenige, die sich am besten anpasst.
Wer heute lebt, ist Nachkomme der jeweils Jahrgangsbesten und nach geschätzten 30.000 Generationen der Menschheitsgeschichte müssten wir eigentlich alle Champions sein. Doch leider sind wir immer noch nicht perfekt. Wir befinden uns wie eh und je in einem permanenten Wettlauf im Kampf ums Dasein, verbunden mit
Lebensrisiken. Jeder gegen jeden also? Nein, in der Evolution gewinnen nicht die Störche gegen die Frösche, sondern die vorsichtigen gegen die unvorsichtigen. Demnach wäre der intelligente Umgang mit Risiken ein wichtiger Teil der
Überlebensstrategie.
Folgt man Talkshows und aktuellen Presseberichten, sind wir formlich umzingelt von
Risiken wie Terrorismus, Finanzkrise, Eurokrise etc. Es scheint gerade so, dass wir uns zu einer
risikoaversen Gesellschaft mit Tunnelblick auf das eigene Lebensrisiko entwickeln. Dies wäre fatal, denn wir würden dabei eine völlig unproduktive Haltung einnehmen, Phantomdiskussionen führen und nicht mehr in unsere geistigen Fähigkeiten investieren, um
Chancen zu identifizieren und wahrzunehmen. Etwas mehr Unaufgeregtheit täte uns manchmal gut. Allerdings ist vor einer realistischen
Risikowahrnehmung ein listiger und mächtiger Filter angebracht – unsere kulturellen Werte und Wertvorstellungen, Meinungen, und Erfahrungen.
Dabei bestimmen der Grad der Unsicherheit und der Betroffenheit des Beurteilenden die Höhe des eingeschätzten
Risikos. Zum Beispiel erscheint der Abgang einer Schneelawine an einem Berghang eines Skigebietes für einen durchschnittlichen Urlauber zufällig bzw. unsicher. Für im Urlaubsort ansässige Mitarbeiter der Bergwacht ist der Abgang einer Lawine aufgrund ihrer Kenntnisse vorhersagbar.
Unsere Wahrnehmung sagt uns, dass sich die
Eintrittswahrscheinlichkeit von Schaden verursachenden Ereignissen stark verändert hat. Über einen längeren Zeitverlauf betrachtet hat sich die Wahrscheinlichkeit jedoch oft weniger verändert. Verändert hat sich die
Schadenshöhe wie z.B. Sturmschäden an einer Küste. Vor 100 Jahren waren diese Schäden deutlich geringer als heute u.a. wegen einer dichteren Bebauung.
Ein weiteres Problem bei der Einschätzung von
Risiken ist der "Tote Winkel". Jeder kennt das Problem beim Autofahren. Trotz größter Aufmerksamkeit und mit dem Blick in den Rückspiegel, gibt es einen nicht einsehbaren Bereich, der zu Unfällen führen kann. So gehörte die Firma Ericsson 2001 zu den führenden Herstellern von Handys. Durch einen Brand in der Chipfabrik in den USA konnte Ericsson nicht liefern. Obwohl Ericsson einen der damals historisch größten Ersatzansprüche wegen eines Betriebsunterbrechungsschadens hatte, gingen dramatische Markanteile verloren. Durch die einseitige Verlagerung eines möglichen finanziellen Problems auf den
Versicherungsschutz befand sich ein weiteres wichtiges Risiko im "Toten Winkel" der Betrachter, denn man glaubte mit dem Versicherungsschutz alles im Griff zu haben. "Tote Winkel" oder nicht identifizierbare Risiken wird es immer wieder geben. Es kommt nur auf die akzeptierte Höhe an.
Spätestens durch die
Subprime Krise haben wir gelernt, dass alles im allem verbunden ist und die ausschließliche Fokussierung auf die Rendite als hoch aggregierte Zahl gefährlich ist. Dadurch wird der
Wirkungszusammenhang vernachlässigt und Risiken unvorsichtigerweise ausgeblendet. Das Verhältnis zwischen Risiko und Rendite ist damit die eigentliche Grundlage für das Thema
Risikomanagement und sollte daher in das Zentrum der aller Risikobetrachtungen gestellt werden.
Denn das alles so klar ist, warum wird dann das
Risikomanagement immer noch stiefmütterlich behandelt? Nur wenige der kleinen und mittelständischen Unternehmen befassen sich mit einem systematischen Risikomanagement. Schätzungsweise haben nur ca. 40 % einen Überblick über die wesentlichen Chancen und Risiken. Mindestens 60 % haben keine
Frühwarnindikatoren. Vielleicht liegt es an der festgefahrenen Meinung, dass ein Risikomanagement Geld kostet und ein ableitbarer Nutzen nicht erkennbar ist und das Gefühl vorherrscht, dass Risiken "unfassbar" sind. Oder ist es einfach bequemer, lieber in den Rückspiegel zu schauen, als potentiellen Risiken aktiv zu begegnen.
Wenn Darwin recht hat, gehört im übertragenen Sinne ein
Risiko- und Chancenmanagement zum "Survival of The Fittest" unbedingt dazu. Auch wenn kein Risikomanagement-Tool vorhanden ist, sollte ein Unternehmen immer alle Planungen in ganzheitlichen und integrierten Modellen und Szenarien durchführen, die bis zum letzten Euro rechnen. Das Denken in
Alternativen ist eine wichtige Vorarbeit im Hinblick auf die Ermittlung der Gesamtrisiken. Mit relativ einfachen Bordmitteln lassen sich dann die Risiken in Risikofelder einteilen, entlang der
value chain. Wenn Sie dann die Risikofelder nach Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit (zwischen 0 und 1) definieren, können Sie sich schnell einen Überblick in den jeweiligen Bereichen z.B.
Produktion,
Technik,
Vertrieb,
Marketing,
Personal,
Finanzen etc. verschaffen , um daraus Maßnahmen und Notfallpläne zu entwickeln. Das mindestens monatliche
Reporting kann leicht durch einen entsprechenden
Risikobericht ergänzt werden. Wenn das "Messen, Zählen, Wiegen" nicht möglich sein sollte, müssen wir unsere stärkste Waffe einsetzten, nämlich
Kreativität und Toleranz und einfach urteilen.
Bei der Eingliederung in die Aufbauorganisation ist darauf zu achten, dass das Management der Einzelrisiken, die Überwachung der Risikolage und die Durchführung der Steuerungsmaßnahmen dezentral erfolgen sollte. Die Koordination des
Risikocontrollings und die Entwicklung einer Risikostrategie sollte zentralisiert sein. Wenn Darwin im übertragenen Sinn recht hat, müssen Unternehmen in der gleichen Branche eben "fitter" und auch vorsichtiger sein als ihre Konkurrenten. Unter diesem Aspekt ist Risikomanagement sogar ein mittel- oder langfristiges
Selektionskriterium.
Mit dem Risikomanagement zu beginnen, nur weil es der Gesetzgeber vorschreibt, ist der gedanklich falsche Ansatz. Richtig und langfristig angewandtes Risikomanagement optimiert das
Risiko-Rendite-Profil eines Unternehmens und steigert den Unternehmenswert - sehr zum Nachteil des Storches und der übrigen Konkurrenz-Frösche.
Autor:in
Dipl.-Bw. (FH)
Herwig Roth: Geschäftsführung/CRO Firma Haslberger Finanzdienstleistungs und Beteiligungs GmbH, Freising
Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Reutlingen war Herr Herwig Roth Dipl. Betriebswirt (FH) mehrere Jahre im Bankbereich tätig und wechselte 1984 in die Industrie. Dort war er in Unternehmen des mittelständischen Maschinenbaus und Bauzulieferbereichs in leitender kaufmännischer Funktion tätig, seit 1996 jeweils in der Geschäftsführung als CFO/CRO.
letzte Änderung E.R.
am 17.08.2024
Autor:
Dipl. Bw. Herwig Roth
Bild:
Bildagentur PantherMedia / Andriy Popov
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