Es war wieder soweit. Nach einer anstrengenden Woche trafen sich die erfolgreichen Unternehmer der Kleinstadt wie üblich im örtlichen Golfclub. Weniger des Sportes wegen, sondern hauptsächlich um unter sich zu sein. So war auch ihr größtes Handicap, dass viele kaum wussten, wo es auf das Grün ging. Sie saßen im Kaminzimmer und wurden von Ihrer Lieblingskellnerin Pauline bedient. Sie war BWL-Studentin und freute sich immer auf die Unternehmerrunde. Neben den großzügigen Trinkgeldern gab es häufig amüsante Streitgespräche.
In deren Verlauf warfen die Unternehmer ihr Praxisferne vor. Sie konnte aber häufig mit neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen frisch aus der Vorlesung verblüffen. Dies war für die erfolgsgewohnten Unternehmer nicht ganz unwichtig, denn als Patriarchen der alten Schule achteten sie in ihren Unternehmen nicht auf Diskussionskultur. Viele Mitarbeiter hatten sich damit abgefunden, dass der Chef immer Recht hatte und wagten kaum, auf Probleme hinzuweisen. Auch deswegen war der Golfclub nützlich, denn von Kollegen konnte man ja Ratschläge annehmen - und natürlich Aufträge.
Die Runde begann immer gleich. Nachdem jeder unaufgefordert sein Lieblingsgetränk erhalten hatte, fragte einer: "Nun, Paulinchen, was hast Du denn diese Woche Besonderes an der Hochschule gelernt?" Meist wurde noch ein Studentenwitz angehängt: "Schön, dass Du uns zuliebe schon um 15 Uhr aufgestanden bist."
Leichen im Keller nicht unter den Teppich kehren
Pauline hatte die Frage erwartet und sich dieses Mal besonders gut vorbereitet: Wir haben über Leichen geredet, die jedes Unternehmen im Keller hat. Sofort wurde es still. Dann knurrten einige: "Leichen? Aber doch nicht bei uns." Der örtliche Bauunternehmer
Georg Grube polterte: "Was willst Du denn damit sagen?"
Pauline fing geschickt an. Sie wusste, dass sie die edle Runde nicht frontal angehen durfte: "Auch die besten Unternehmer - wie viele hier in der Runde (so viel Anbiederung musste sein) - machen mal Fehler. Das ist menschlich." Unter dem zustimmenden Nicken der Anwesenden fuhr sie fort: "Unser Prof sagt, dass der schlimmere Fehler erst entsteht, wenn die Probleme unter den Teppich gekehrt werden. Man muss permanent überprüfen, ob bei großen Projekten eine Weiterführung sinnvoll ist."
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Der Bürgermeister der Stadt zuckte zusammen. Er durfte seit einiger Zeit an den Treffen der örtlichen Haute Volée teilnehmen. Es hatte Streit gegeben, weil einige Teilnehmer nicht die beste Meinung über die örtliche Bürokratie hatten. Aber nachdem der Bürgermeister einen Referenten für Wirtschaftsförderung ernannt hatte, wurde die Zusammenarbeit wesentlich besser. Dennoch begrüßten ihn einige mit: "Da kommt ja unser Paragraphenreiter."
Der Bürgermeister hatte eine Brücke in Auftrag gegeben, die seinen Namen tragen sollte. Nach einiger Zeit kam heraus, dass nur wenige Kilometer flussaufwärts, aber in einem anderen Bundesland, ebenfalls eine Brücke gebaut wurde, die ärgerlicherweise auch noch früher fertig sein würde. Der Bürgermeister hoffte inständig, dass
Pauline das Thema nicht anschneiden würde.
Versunkene Kosten
Pauline fuhr fort: Wichtig sei die Erkenntnis, dass bereits angefallene oder endgültig beschlossene Kosten nicht mehr entscheidungsrelevant seien. Diese Kosten seien
Sunk Cost. "Für das Weitermachen zählt nur, was an Nutzen beziehungsweise an Kosten noch beeinflusst werden kann. Unser Prof hat ein Beispiel aus dem EEG, dem Erneuerbaren Energien Gesetz - gebracht", erklärte Pauline. Die Politiker hätten hektisch agiert, um den Zuschlag von 6,17 Cent pro Kilowattstunde in 2015 zu senken. Herausgekommen sei aber eine Steigerung auf 6,35 Cent pro Kilowattstunde. Eine Reduktion wäre aber kaum möglich gewesen oder nur im geringen Umfang, weil ein Großteil dieses Betrages durch bereits installierte Windkraft- und Photovoltaikanlagen mit einem garantierten Förderanspruch für die Zukunft - bis zu 20 Jahren - festgeschrieben sei.
Da wurde der Getränkehersteller blass
Bei dem Begriff "bereits angefallene Kosten" wurde auch
Tankred Durst blass. Als örtlicher Getränkehersteller war er Exklusivlieferant für den Golfclub. Er dachte an sein früheres Lieblingsprojekt - heute sein Horrorprojekt. Er hatte viel Geld in neue Abfülltechnik investiert. Sein damaliger Technikchef, A. Septic, war so überzeugend aufgetreten, dass die Wirtschaftlichkeit der neuen Anlage kaum geprüft wurde. Die Bedenken seiner Controller hatte er weggewischt. Nach drei Jahren Entwicklungsarbeit und immer neuen technischen Problemen hatte sich der Technikchef abgesetzt, und Durst wusste seit langem nicht, was er machen sollte. Zumal er schon einige Millionen investiert hatte. Das sollte ja nicht umsonst gewesen sein.
Als könnte Pauline Gedanken lesen, kam sie auf das Thema bereits getätigter Investitionen zu sprechen. Ein ganz gefährlicher Irrtum sei es, ein Projekt nur deswegen fortzuführen, weil schon viel investiert worden sei. Das würden viele Politiker machen, obwohl ja schon das Sprichwort sagt: Man soll schlechtem Geld kein gutes hinterherwerfen. Entscheidend sei nur das, was noch beeinflusst werden könne.
Jetzt wurde
Tankred Durst klar, dass er den Mut für eine schonungslose Bestandsaufnahme aufbringen musste. Gedanklich setzte er schon eine Sondersitzung für Montagmorgen um 8 Uhr an. Dort würde er sich von den Technikern erklären lassen, welche zukünftigen Auszahlungen noch kommen würden. Auch die Marketingabteilung würde ihm darlegen müssen, welche zusätzlichen Einzahlungen durch die neue Anlage erzielt werden könnten. Das bereits investierte Geld musste er wohl schweren Herzens vergessen. Das waren wohl - wie Pauline es nannte - Sunk Cost. Fast alle Anwesenden waren still geworden, weil sie an Leichen im Keller des eigenen Hauses denken mussten.
Sunk Cost in der Kiesgrube
Nur Bauunternehmer
Grube war noch nicht überzeugt. Er wandte sich an
Pauline: "Kann schon sein, dass es diese komischen Sunk Cost in einigen Branchen gibt. Aber nicht in der Bauindustrie. Die ist bodenständig, da kommt so etwas nicht vor." Die anderen Teilnehmer schauten erwartungsvoll zu Pauline.
Zum Glück hatte
Pauline gehört, wie sich
Grube mit dem Bürgermeister über die Arbeitszeiten in seiner Kiesgrube gestritten hatte. Daher fragte sie jetzt leutselig: "Herr Grube, was machen Sie denn, wenn ihre Kiesgrube endgültig ausgebaggert ist?"
"Was soll ich schon machen? Ich muss das Ding ja wieder in einen ordentlichen Zustand bringen. Das nennt man Renaturierung, mein Kind." Und er fügte mit einem ärgerlichen Blick auf den Bürgermeister hinzu: "Das wird wieder jede Menge Geld kosten."
Pauline versuchte ihren Triumph zu verbergen: "Die Kosten werden Sie also in jedem Fall haben, egal was Sie machen?"
"Ja, leider", war die Antwort. Da schlussfolgerte
Pauline: "Dann sind das Sunk Cost, obwohl sie erst in der Zukunft anfallen." Sie verschwieg, dass sie von dieser in der Zukunft liegenden Art von sunk cost gerade erst in der Vorlesung gehört hatte. Die Anderen lachten.
Auch
Grube bewies Humor: "Da hat sie mich in meine Grube hereinfallen lassen. Gut gemacht, Pauline." Klar, dass er die Rechnung übernahm - mit einem besonders großzügigen Trinkgeld. Es sei noch erwähnt, dass
Georg Grube Pauline ein Praktikum für die nächsten Semesterferien anbot, um die Sache mit den Sunk Cost in der Kiesgrube genau zu berechnen.
letzte Änderung P.D.P.H.
am 25.08.2024
Autor:
Dr. Peter Hoberg
Bild:
panthermedia.net / Jan Pietruszka
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Autor:in
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Herr Prof. Dr. Peter Hoberg
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms. Seine Lehrschwerpunkte sind Kosten- und Leistungsrechnung, Investitionsrechnung, Entscheidungstheorie, Produktions- und Kostentheorie und Controlling. Prof. Hoberg schreibt auf Controlling-Portal.de regelmäßig Fachartikel, vor allem zu Kosten- und Leistungsrechnung sowie zu Investitionsrechnung.
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