Höchstwertprinzip - Erläuterung und Beispiel

Jörgen Erichsen, Günther Wittwer
Das Prinzip der Vorsicht ist ein zentraler handelsrechtlicher Bewertungsgrundsatz und Grundsatz ordnungsgemäßer Buchführung. Es dient vor allem der Kapitalerhaltung und damit auch dem Gläubigerschutz. Vorsichtige Bewertung bei Verbindlichkeiten bedeutet, den jeweils höchsten gegebenen Bewertungsansatz zu wählen, wenn mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Das wird dann Höchstwertprinzip genannt. Darüber hinaus sollen alle vorhersehbaren Risken und Verluste erfasst werden. Und zwar auch dann, wenn diese erst im Zeitraum nach dem Abschlussstichtag und der Erstellung des Jahresabschlusses bekannt werden. Das Gegenstück zu den Verbindlichkeiten ist bei den Vermögensgegenständen das Niederstwertprinzip.

Warum das Höchstwertprinzip?

Würde der oder ein niedrigerer Ansatz als möglich angesetzt, entstände ein nicht realisierter Gewinn, was sowohl dem Realisationsprinzip als auch dem Imparitätsprinzip widersprechen würde. Danach dürfen Gewinne nicht ausgewiesen werden, solange sie nicht realisiert sind, wohingegen noch nicht realisierte Verluste zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt, dass die Liquidität des Unternehmens auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zumindest geschont wird, weil zu hohe Gewinnausschüttungen vermieden werden.
Das Realisationsprinzip besagt, dass Gewinne nur zu berücksichtigen sind, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind. Es ist damit Teil des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips und dient der Periodenabgrenzung. Das Vorsichtsprinzip ist auch steuerrechtlich zu beachten.

Das Imparitätsprinzip besagt, dass Gewinne und Verluste zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die Bilanz aufgenommen werden müssen: Verluste müssen bereits bilanziert werden, wenn ihr Eintreten wahrscheinlich ist; hierfür können z.B. Rückstellungen gebildet werden. Gewinne dürfen erst dann bilanziert werden, wenn sie tatsächlich realisiert wurden.


Wertansätze bei den Verbindlichkeiten

Generell gelten bei den Verbindlichkeiten folgende Wertansätze
  • Verbindlichkeiten sind mit dem Rückzahlungsbetrag anzusetzen.
  • Rentenverbindlichkeiten sind mit dem Barwert zu berücksichtigen.
  • Rückstellungen müssen in der Höhe ausgewiesen werden, die „nach vernünftigem kaufmännischen Ermessen“ notwendig ist. Bei Rückstellungen gibt es also durchaus Spielraum, um den Wert einer Schuld zu beeinflussen.

§ 253 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EstG) schreibt zudem vor, dass Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr abzuzinsen sind mit dem ihrer Restlaufzeit entsprechenden durchschnittlichen Marktzinssatz, der sich im Falle von Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen aus den vergangenen zehn Geschäftsjahren und im Falle sonstiger Rückstellungen aus den vergangenen sieben Geschäftsjahren ergibt.

Dass Verbindlichkeiten maximal mit ihrem Rückzahlungsbetrag auszuweisen sind, ergibt sich aus § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB, wobei das Prinzip von der Laufzeit der Verbindlichkeit unabhängig ist. An jedem Bilanzstichtag muss eine erneute Prüfung der Bewertungsmöglichkeiten vorgenommen und entsprechend des Ergebnisses bilanziert werden. Das Höchstwertprinzip findet häufig bei Fremdwährungsverbindlichkeiten Anwendung.

Beispiel: Ein Unternehmen kauft Materialien in den USA zu einem Preis von insgesamt 115.000 Dollar. Zum Kaufzeitpunkt beträgt der Kurs 1,15 Euro pro Dollar. Am Bilanzstichtag beläuft sich der Kurs auf 1,10 Euro pro Dollar. Beim Kauf beträgt der Wert der Materialien daher 100.000 Euro (115.000 Dollar / 1,15).

Zum Bilanzstichtag ist der Kurs niedriger und damit steigen die Verbindlichkeiten auf 104.545,45 Euro (115.000 Dollar / 1,10). Nach dem Höchstwertprinzip muss die Verbindlichkeit mit 104.545,45 Euro bilanziert werden.

Höchstwertprinzip im Steuerrecht

Grundsätzlich entspricht die Steuer- der Handelsbilanz. Allerdings sind in der Steuerbilanz immer wieder andere Ansätze möglich. Das Steuerrecht (§ 6 Abs. 1 EstG) schreibt vor, dass Verbindlichkeiten grundsätzlich mit den Anschaffungskosten (meist der Rückzahlungsbetrag oder Nennwert einer Verbindlichkeit) oder einem evtl. vorhandenen höheren Teilwert bewertet werden müssen.

 


Aufgaben

Von Günther Wittwer
  1. Wie sind die Verbindlichkeiten am Bilanzstichtag zu bewerten?

  2. Die Eingangsrechnung vom 9.12.2021  von Smith Ltd. / New York über 120.000 US-$ wurde am 23.12.2021 zu einem Wechselkurs am Eingangsrechnungstag 1,00 € = 1,09 US-$ gebucht.
    Der Wechselkurs am Bilanzstichtag (31.12.) betrug 1,12 US-$.
    Mit welchem Wert in € sind die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen am Bilanzstichtag (31.12.) auszuweisen?

  3. Am 4.1.2022 hat Santino GmbH bei der City-Bank zu Köln ein Darlehen in Höhe von 300.000 € zur Finanzierung eines Neubaus einer Lagerhalle aufgenommen. Die Laufzeit beträgt 12 Jahre. Es wurde eine Auszahlung von 95 % vereinbart. Wie lauten die Buchungen mit Beträgen
    1. bei Aufnahme des Darlehen
    2. Tilgung des gebuchten Disagio am Bilanzstichtag 31.12.2022
    3. Wie sind die Darlehens-und Hypothekenschulden am Bilanzstichtag zu bewerten?

Lösungen

  1. Verbindlichkeiten sind am Bilanzstichtag mit ihrem höheren Rückzahlungsbetrag zu bewerten.

  2. Bewertungsverfahren zum Bilanzstichtag. Der Wertansatz ist mit der Kursangabe zu prüfen.

    Bewertung mit dem Wechselkurs am Tag des Eintreffens der Eingangsrechnung

    1,09 $ 1,00 €
    120.000 $ x €

    1 ×120.000 = 110.091,74
    1,09

    Bewertung nach dem Wechselkurs am Bilanzstichtag

    1,12 $ 1,00 €
    120.000 $ x €

    1 ×120.000 = 107.142,85
    1,12


    TIPP
    Beim Ansatz eines höheren Kurs am Bilanzstichtag gegenüber am Tag der Entstehung der Verbindlichkeit ist keine weitere Buchung erforderlich.
    Bereits am Tag der Entstehung der Verbindlichkeit ist die höhere Verbindlichkeit ausgewiesen worden. Die Anwendung des Höchstwertprinzips ist erfüllt.

  3. a)  4.1.2022 Aufnahme des Darlehens

    Bank (Kreditinstitute) 285.000 €  
    Disagio 15.000 €  
    an langfristiges Darlehen   300.000 €

    b) 31.12.2022 Bilanzstichtag

    Zinsaufwendungen für langfristiges Darlehen 1.250 €
    an Disagio   1.250 €

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letzte Änderung J.E. am 05.06.2023
Autor(en):  Jörgen Erichsen, Günther Wittwer


Autor:in
Herr Jörgen Erichsen
Jörgen Erichsen ist selbstständiger Unternehmensberater. Davor hat er in leitenden Funktionen in Konzernen gearbeitet, u.a. bei Johnson & Johnson und Deutscher Telekom. Er ist Autor von Fachbüchern und -artikeln rund um Rechnungswesen und Controlling. Außerdem ist er als Referent zu diesen Themen für verschiedene Träger tätig. Beim Bundesverband der Bilanzbuchhalter und Controller (BVBC) leitet Jörgen Erichsen den Arbeitskreis Controlling.
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