Als
Rückstellungen werden Verpflichtungen bezeichnet, die in Bezug auf ihre Entstehung bestehen, aber dem
Zeitpunkt der Fälligkeit oder der Höhe ungewiss sind. Rückstellungen werden auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen und stellen eine so genannte ungewisse Verbindlichkeit und damit Fremdkapital dar. Sie werden daher als separater Posten „B. Rückstellungen“ zwischen dem Eigenkapital und den Verbindlichkeiten ausgewiesen. Rückstellungen bieten Unternehmen immer wieder größeren Gestaltungsspielraum, und es lassen sich gezielt Steuern reduzieren bzw. in ein anderes Geschäftsjahr verschieben. Rückstellungen werden daher vom Finanzamt meist kritisch betrachtet und intensiv auf Richtigkeit und Angemessenheit geprüft.
Was sind Rückstellungen?
Verbindlichkeiten (Schulden) müssen mit ihrem
Erfüllungsbetrag bilanziert werden (§ 253 Abs. 1 Handelsgesetzbuch, HGB). Das gilt für alle Verbindlichkeiten, bei denen keine Zweifel im Hinblick auf ihren Grund, die Fälligkeit oder die Höhe bestehen. Gibt es hieran Zweifel, sind diese Verbindlichkeiten dennoch zu bilanzieren, um das
kaufmännische Vorsichtsprinzip einzuhalten (§ 252 HGB) und zwar als Rückstellungen.
Ziel der Bildung von Rückstellungen ist es, eine periodengerechte Erfolgsermittlung zum Bilanzstichtag sicherzustellen.
Dazu sind auch Aufwendungen zu erfassen, die wirtschaftlich dem aktuellen Abschlussjahr zuzurechnen sind, die ihrem Grunde nach bestehen, aber in der Höhe und / oder Fälligkeit nicht sicher sind. Es muss also bereits ein Geschäftsfall eingetreten sein, der eine Aufwendung zur Folge haben könnte aber nicht muss.
Art und Höhe von Rückstellungen müssen vom Unternehmen vorsichtig - „nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung“ -
geschätzt und in der Bilanz passiviert werden. Maßgebend ist der voraussichtliche künftige Erfüllungsbetrag, nicht der Wert der Rückstellung zum Abschlussstichtag (§ 253 Abs. 1 Handelsgesetzbuch, HGB).
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Die
Ungewissheit über Eintreten, Höhe und / oder Fälligkeit unterscheidet die Rückstellungen von den genau bestimmbaren
Verbindlichkeiten, etwa Lieferanten-, Darlehens- oder Hypothekenschulden. Daher werden sie auf der Passivseite der Bilanz auch
separat unter „B. Rückstellungen“ vor den restlichen Verbindlichkeiten ausgewiesen. Sie sind dabei nach § 266 HGB in Pensionsrückstellungen, Steuerrückstellungen und sonstige Rückstellungen zu unterteilen (vergleiche Abb. 1).
Abb. 1 vereinfachte Darstellung einer Bilanz (u.a. ohne Rechnungsabgrenzungsposten und latente Steuern)
Wofür müssen Rückstellungen gebildet werden?
Nach § 249 Abs. 1 HGB müssen Rückstellungen in folgenden Fällen gebildet werden:
- Pensionsverpflichtungen, z.B. verpflichtende Versorgungszusage an Arbeitnehmer. Mehr zu Pensionsrückstellungen hier >>
- Steuerrückstellungen, z.B. für Einkommens- und Ertragssteuern, die bis zum Ende des Geschäftsjahres entstanden sind, die in der Höhe noch nicht feststehen. Mehr zu den Steuerrückstellungen hier >>
- Sonstige Rückstellungen, z.B.
- Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, z.B. für Prozesskosten (anhängige Prozesskosten, soweit das eigene Unternehmen Kläger oder Beklagter ist), Garantieverpflichtungen, Provisionsverbindlichkeiten, Inanspruchnahme von Bürgschaften, nicht genommene Urlaubstage, Kosten für bevorstehende Betriebsprüfungen, Jahresabschluss- und Prüfungskosten.
- Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften, z.B. eine erwartete erhebliche Preissteigerung von Produkten, die ein Unternehmen laut Vertrag zu einem niedrigeren Festpreis liefern muss. Hinweis: In der Steuerbilanz ist die Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften verboten.
- Rückstellungen für unterlassene Instandhaltungsaufwendungen, die im folgenden Geschäftsjahr innerhalb von drei Monaten nachgeholt werden. Andernfalls sind steuerwirksame Rückstellungen nicht zugelassen.
- Urlaubsrückstellungen
- Rückstellungen für unterlassene Abraumbeseitigung, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt wird
- Rückstellungen für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtungen, z.B. Kulanzgewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtungen.
- Rückstellungen für die Archivierung von Geschäftsunterlagen
Für andere Fälle dürfen Rückstellungen nicht gebildet werden. Beispielsweise ist es nicht statthaft, Rückstellungen für mögliche Umsatz- und Gewinneinbrüche oder steigende Kosten zu bilden. Diese allgemeinen Risiken müssen vom Unternehmer getragen werden.
Wer ist verpflichtet, Rückstellungen zu bilden?
Nur
bilanzierende Unternehmen dürfen Rückstellungen bilden, z.B. GmbH oder Aktiengesellschaften. Wer seinen Gewinn mit der Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR) ermittelt, etwa Freiberufler, darf keine Rückstellungen bilden. Bei der EÜR zählen nur die tatsächlich realisierten Zu- und Abflüsse bei den Betriebseinnahmen und -ausgaben.
Wie wirken sich Rückstellungen auf den Unternehmenserfolg aus?
Da Rückstellungen für Aufwendungen gebildet werden, werden also in der Gewinn- und Verlustrechnung angesetzt und vermindern in der Folge Gewinn und die Einkommens- und Ertragssteuern. Das Besondere ist, dass Aufwandsbuchungen vorgezogen werden, ohne dass finanzielle Mittel fließen. Damit haben Rückstellungen auch unmittelbar
positive Folgen für die Liquidität.
Müssen Rückstellungen abgezinst werden?
Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr müssen mit dem
durchschnittlichen Marktzinssatz der Deutschen Bundesbank abgezinst werden (§253 Abs. 2 HGB). Die Abzinsung erfolgt zum durchschnittlichen Marktzinssatz der letzten 7 Jahre mit Beachtung der Restlaufzeit der jeweiligen Rückstellung. Die jeweiligen Zinssätze finden sich hier Abzinsungszinssätze gemäß § 253 Abs. 2 HGB, 7-Jahresdurchschnitt | Deutsche Bundesbank. In der Steuerbilanz beläuft sich der Abzinsungszinssatz auf 5,5%. Pensionsrückstellungen sind mit 6% abzuzinsen (Stand: August 2023).
Wie werden Rückstellungen gebildet?
Bei der Bildung von Rückstellungen wird zunächst das jeweilige Aufwandskonto im Soll mit dem geschätzten Betrag belastet. Dann folgt eine Gegenbuchung auf dem zugehörigen Rückstellungskonto im Haben.
Die Buchung lautet also:
Aufwandskonto an Rückstellungskonto
Beispiel: Zum Bilanzstichtag wird mit einer Gewerbesteuernachzahlung für das Abschlussjahr in Höhe von 10.000 Euro gerechnet. Da es unterschiedliche Kontenrahmen gibt, wird auf die Nennung von Kontonummern verzichtet.
Die Buchung bei der Bildung der Rückstellung zum Jahresende lautet:
Gewerbesteuer an Steuerrückstellungen 10.000 Euro
Die Abschlussbuchung lautet:
Konto Gewinn- und Verlustrechnung 10.000 Euro an Konto Gewerbesteuer 10.000 Euro
Steuerrückstellungen 10.000 Euro an Schlussbilanzkonto 10.000 Euro.
Wie werden Rückstellungen aufgelöst?
Rückstellungen müssen bei Inanspruchnahme oder sobald die Gründe hierfür entfallen, aufgelöst werden (§ 249 Abs. 2 HGB). Da die Bildung von Rückstellungen auf Schätzungen beruhen, sind drei Fälle möglich:
Fall1: Die Rückstellung entspricht exakt dem fälligen Zahlbetrag. Dann ist eine Auflösung nicht erforderlich.
Fall 2: Die Rückstellung ist größer als der fällige Zahlbetrag. Dann ergibt sich in Höhe der tatsächlichen Zahlung des der Rückstellung ein Ertrag, der über ein spezielles Konto gewinnerhöhend aufzulösen ist.
Fall 3: Die Rückstellung ist kleiner als der fällige Zahlbetrag. Dann ergibt sich ein zusätzlicher Aufwand, der den Gewinn reduziert.
Fortsetzung des Beispiels
Zu Beginn des Geschäftsjahres wird das Rückstellungskonto eröffnet. Die Buchung hierzu lautet:
Eröffnungsbilanzkonto an Steuerrückstellungen 10.000 Euro.
Fall 1: Rückstellungsauflösung mit dem gleichen Betrag
Die Gewerbesteuernachzahlung entspricht genau dem Betrag, der als Rückstellung gebildet wurde. Dann lautet die Buchung:
Bank an Steuerrückstellung 10.000 Euro
Fall 2: Rückstellungsauflösung mit höherem Rückstellungsbetrag
Die Gewerbesteuernachzahlung beträgt lediglich 8.500 Euro. Dann lauten die Buchungen:
Steuerrückstellungen 10.000 Euro an Bank 8.500 Euro
an Erträge aus Auflösung von Rückstellungen 1.500 Euro
Fall 3: Rückstellungsauflösung mit niedrigerem Rückstellungsbetrag
Die Gewerbesteuernachzahlung beträgt 11.000 Euro. Dann lauten die Buchungen:
Steuerrückstellungen 10.000 Euro an Bank 11.000 Euro
Gewerbesteuer Vorjahre 1.000 Euro
Hinweis: In bestimmten Fällen müssen Rückstellungen nicht jedes Mal aufgelöst und neu gebildet werden, sondern können einfach bestehen bleiben. Das kann z.B. für die Rechnung des Steuerberaters gelten, wenn die Aufwendungen jährlich in etwa gleich hoch ausfallen. Der Betrag der Rückstellung an sich darf in solchen Fällen nicht geändert werden. In diesen oder ähnlichen Fällen sollte mit dem Steuerberater Rücksprache gehalten werden.
Wie lange müssen Geschäftsunterlagen und Belege aufbewahrt werden?
Geschäftsunterlagen, aus denen hervorgeht, dass, warum und in welcher Höhe Rückstellungen gebildet wurden, müssen wie die meisten anderen Buchhaltungsunterlagen mindestens zehn Jahre aufbewahrt werden.
Wichtig: Die Aufbewahrungsfrist beginnt erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterlagen oder Dokumente entstanden (z.B. Buchungsbelege) oder fertig gestellt worden sind (z.B. Bilanzen, Inventar, Eröffnungsbilanz). Bei Vertragsunterlagen beginnt die Frist erst nach Ablauf des Vertrages, nicht mit dem Ablauf des jeweiligen Geschäftsjahres.
Werden Rückstellungen in der Steuerbilanz berücksichtigt?
Grundsätzlich werden handelsrechtlich zu bildende Rückstellungen auch in der Steuerbilanz berücksichtigt. Allerdings dürfen Rückstellungen für drohende Verlust aus schwebenden Geschäften und Rückstellungen für Instandhaltungs- und Sanierungsarbeiten, die nicht im ersten Quartal des neuen Geschäftsjahres abgeschlossen sind, in der Steuerbilanz nicht angesetzt werden. Die
Abzinsung von Rückstellungen erfolgt in der Steuerbilanz grundsätzlich mit dem Zinssatz von
5,5 Prozent; bei Pensionsrückstellungen mit
6 Prozent. Kostenpreissteigerungen, die handelsrechtlich berücksichtigt werden können, sind steuerlich herauszurechnen.
Ein weiterer Unterschied zwischen dem Ansatz in der Handels- und Steuerbilanz ist, dass in der Handelsbilanz künftige Preis- und Kostensteigerungen berücksichtigt werden dürfen (es wird also der voraussichtliche Erfüllungsbetrag angesetzt), in der Steuerbilanz nicht. In der Steuerbilanz sind Rückstellungen zum Abschlussstichtag zu bewerten.
Was unterscheidet Rückstellungen von Rücklagen?
Rückstellungen dürfen nicht mit
Rücklagen verwechselt werden.
Rücklagen haben Eigenkapitalcharakter und stärken diese Position. Sie stellen also eine finanzielle Reserve dar, die ein Unternehmen z.B. benötigt, um ein Verlustjahr zu überstehen oder Anschaffungen ohne Kredit vorzunehmen. Rücklagen werden unter Eigenkapital Nummer II und III ausgewiesen (s. Abb.1).
Rücklagen müssen nur von Kapitalgesellschaften gebildet werden. Das betrifft Aktiengesellschaften (AG), Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Genossenschaften.
letzte Änderung J.E.
am 17.07.2024
Autor(en):
Jörgen Erichsen
Bild:
Bildagentur PantherMedia / Andrey Popov
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Autor:in
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Herr Jörgen Erichsen
Jörgen Erichsen ist selbstständiger Unternehmensberater. Davor hat er in leitenden Funktionen in Konzernen gearbeitet, u.a. bei Johnson & Johnson und Deutscher Telekom. Er ist Autor von Fachbüchern und -artikeln rund um Rechnungswesen und Controlling. Außerdem ist er als Referent zu diesen Themen für verschiedene Träger tätig. Beim Bundesverband der Bilanzbuchhalter und Controller (BVBC) leitet Jörgen Erichsen den Arbeitskreis Controlling.
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