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Controlling im Startup - Interview mit Manfred Grotheer

Wolff von Rechenberg
Immer neue Geschäftsmodelle im Internet und der rasend schnelle digitale Wandel lenken das Schweinwerferlicht auf die Gründer, die Startups, die Helden der Digitalisierung. Sie sind auch die wirtschaftlichen Hoffnungsträger deutscher Großstädte. So listete der Startup Monitor des Portals Gruenderszene.de den Online-Versandhändler Zalando im Jahr 2015 auf Platz 19 unter den größten Arbeitgebern in Berlin. 4.700 Mitarbeiter beschäftigt das einstige Startup inzwischen.

Und Deutschland gilt als attraktives Pflaster für digital getriebene Gründungen: Gewerberäume sind günstig, die Infrastruktur gut, Arbeitskräfte gut ausgebildet. Auch auf Seiten von Investoren steigt das Interesse an Startups. Sogenannte Venture Capital Gesellschaften (VC) suchen nach erfolgversprechenden Investments. Viele Startups bekommen an diesem Punkt Probleme. Sie konzentrieren sich anfangs stark auf das Wachstum am Markt, vernachlässigen dabei aber die Finanzkennzahlen. Das ist besonders in Deutschland schwierig. Denn deutsche Investoren schauen früher und stärker auf die Profitabilität als Investoren in den USA.

Die Suche nach Investoren setzt also ein Controlling voraus – und zwar ein Controlling, das Finanzkennzahlen beobachtet. Der Berliner Controlling-Trainer Manfred Grotheer hat jahrelang Kollegen beim Einsatz in Startups begleitet und beraten. Über die Probleme vieler Startups mit dem Controlling sprach Grotheer mit Wolff von Rechenberg für das Controlling-Journal.



Herr Grotheer, Sie haben Startups beim Aufbau eines Controllings unterstützt beziehungsweise Controller in Startups gecoacht. An welchem Punkt ihrer Existenz haben diese Startups Ihre Begleitung gesucht?
Manfred Grotheer: In den Fällen, in denen ich tätig war, befand sich das Startup nach drei oder vier Jahren Bestehen in einer Reifephase. Die Geschäftsführer hatten in diesem Stadium schon genaue Vorstellungen über ihre Kennzahlen. Nun sollte ein Controller diese Kennzahlen systematisch erheben, automatisieren, interpretieren und daraus Verbesserungsvorschläge entwickeln.

Kam es vor, dass ein Controller dann noch einmal korrigieren musste, weil er den Kennzahlenkatalog des Startups für mangelhaft hielt?
Grotheer: Versucht haben das die Controller. Die Unternehmen, die ich betreut habe, waren sehr IT-affin. Sie hatten vor allem markt- und prozessorientierte KPIs. Der Controller wollte mehr Wert auf finanzorientierte KPIs und zukunftsorientierte Planzahlen legen.

Das heißt, ein Startup schaut auf andere Kennzahlen als ein erfahrenes Unternehmen, das am Markt etabliert ist?
Grotheer: Definitiv, ja. Nach meiner Erfahrung schauen Startups stärker auf markt- und wachstumsorientierte Kennzahlen. Finanzielle Kennzahlen beschränkten sich oft auf den Stand des Bankkontos und die Cash-Burn-Rate. Sie spielen bei Startups, außer bei Präsentationen mit den Kapitalgebern, häufig nur eine untergeordnete Rolle. Und Startups sind einerseits sehr kurzfristig orientiert, andererseits sehr visionär. Der Zeitraum dazwischen ist manchmal etwas nebulös.

Das ist aber doch ein Problem. Schließlich brauchen Startups das Geld von Investoren, und die schauen eher auf finanzielle Kennzahlen, oder?
Grotheer: Ja und nein. Ich habe kürzlich auf der Controlling-Innovation Berlin (CIB) mit mehreren Kollegen im Internationalen Controller Verein gesprochen, die Pro Bono Startup-Unternehmen betreuen. Sie teilen meine Meinung, dass die langfristigen finanziellen Kennzahlen, insbesondere wenn es um die Ertragsorientierung geht, aus ihrer Sicht in Startups eine zu geringe Bedeutung haben. Obwohl Investoren genau darauf schauen müssen. Ich kann mir das nur so erklären: Wachstum mit anschließendem gewinnbringenden Verkauf der Anteile, ist vielen Startup-Gründern wichtiger als mittel- und langfristige Rentabilität und Nachhaltigkeit der Existenzsicherung.

Wo verschätzen sich Gründer besonders oft: eher bei der Gewinnerwartung oder bei den Kosten?
Grotheer: Das Umsatzwachstum wird meist zu positiv gesehen. Fast jedes Startup kommt bei der Umsetzung seiner Wachstumsstrategie irgendwann ins Stocken. An diesem Punkt gilt auch für junge Unternehmen der alte Controllerspruch: Kosten sind sicherer als Erlöse. Nach drei oder vier Jahren zeigt sich meist, dass die Wachstumserwartungen nicht mehr so wie geplant eintreten. Am Anfang liegen viele Startups innerhalb oder über ihren eigenen Wachstumserwartungen. Auf einem gewissen Reifegrad kommt es aber unter anderem durch zunehmenden Wettbewerb zu Abweichungen vom anvisierten Wachstumskurs.

Kann ein Gründer in seinem Startup über längere Zeit das Controlling selbst erledigen, oder halten Sie das für leichtsinnig?
Grotheer: Controlling ist und bleibt auch für den Gründer eine ständige Managementaufgabe. Man setzt sich ja auch von Anfang an Ziele, schreibt Businesspläne und reagiert auf Abweichungen, was typischerweise zum Controlling-Prozess gehört. Häufig übernimmt einer der Gründer am Anfang auch die Controller-Rolle, die sich vom Controlling-Prozess unterscheidet. Dabei wird er eventuell von einem Business-Angel begleitet, zum Beispiel einem CFO im Ruhestand. In der Controller-Rolle entwickelt und betreut er die Planungs- und Steuerungsinstrumente und -prozesse. Er sorgt dafür, dass geplant und gesteuert werden kann. Er wirkt als ökonomischer Lotse.

Ab einer gewissen Größe – zum Beispiel ab 60 oder 70 Mitarbeitern – brauchen die Gründer einen Mitarbeiter in der Rolle des Controllers, der sie bei den Prozessen der finanziellen Planung und Steuerung unterstützt. Das kann in Personalunion durch den CFO geschehen, durch einen qualifizierten Assistenten, einen Buchhalter, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater. Langfristig kann der Gründer beziehungsweise CEO des Startups nicht die Controller-Rolle übernehmen. Nach der reinen Lehre ist der Controller der Sparringspartner des Managements. Wenn einer der Gründer gleichzeitig Manager und Controller ist, dann besteht aus meiner Sicht immer die Gefahr, dass er in das Sparring mit sich selber gehen muss. Hieraus kann eine Voreingenommenheit resultieren, die im Widerspruch zum Rationalitätsprinzip beziehungsweise der "second opinion" eines Controllers steht.

Wie startet man als Controller in einem Startup?
Grotheer: Mit ganz viel Handarbeit, mit Excel-Tabellen und dahinterliegenden originären Datenbanken beziehungsweise den darin gespeicherten Informationen. Weiterhin benötigt der Controller Offenheit für die Menschen, die Kultur und die Geschäftsprozesse in diesem Unternehmen. Die Unternehmen, die ich begleitet habe, besaßen schon eine gewisse Größe. Die Geschäftsführung verlangte an diesem Punkt vom Controller, dass er verbesserte betriebswirtschaftliche Prozesse aufsetzt.

Das umfasste Planung, Forecast, Abweichungsanalysen und Reporting. Ich vermute, dass in vielen Fällen auch Investoren verlangten, dass das Startup mehr ökonomische Planungs- und Steuerungskompetenz aufbaut, um dadurch höhere Transparenz und Risikoreduzierung zu erzeugen. In erster Linie ging es um den Aufbau von Strukturen für das Reporting von validen und abgestimmten Plan-, Ist- und Forecast-Werten an Banken und Investoren.

Den Job eines Controllers in einem Startup würden Sie eher einem Kollegen mit einer großen Portion Abenteuerlust empfehlen?
Grotheer: Das war eine Aussage meines Vortrags auf der CIB. Man braucht als Controller in einem Startup sehr gute analytische Fähigkeiten und IT-Affinität, aber auch eine gewisse Risikofreudigkeit.

Unter welchen Voraussetzungen sollte ein Controller einen Job bei einem Startup auf jeden Fall ablehnen?
Grotheer: (lacht) Wenn er risikoscheu und unflexibel ist.




letzte Änderung W.V.R. am 11.08.2022
Autor:  Wolff von Rechenberg
Bild:  ICV / Konzept und Bild / Cathrin Bach


Autor:in
Herr Wolff von Rechenberg
Wolff von Rechenberg ist Wirtschaftsjournalist und versorgt seit 2012 die Fachportale der reimus.NET mit News und Fachartikeln.
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