Funktionsweise und Dynamik des „relativen“ Leistungsvertrags im Beyond Budgeting-Modell und Wege zur Implementierung, von Niels Pfläging, São Paulo
Zum Zusammenhang zwischen Zielen, Budgets und Führung
In Unternehmen fehlt es selten an Zielen. Es gibt eher zu viele! Und sie sind viel zu stark ausdetailliert. Organisationen sind so stark von der Kultur der Zielvereinbarung durchdrungen, dass einzelne Bereiche oft mit 30 untereinander gewichteten Zielvereinbarungen
verregelt sind. Dieser Praxis liegt Misstrauen zugrunde - Sicherheitsbedürfnis auf der einen und Kontrollbedürfnis auf der anderen Seite. Die Energie solcher Systeme aber konzentriert sich nach innen: Auf alle möglichen
Manipulierungsstrategien, die dem Zweck dienen, möglichst hohe Boni zu realisieren. Oder darauf, Leistung intern nachzuweisen, statt kundenrelevante Leistung zu erbringen.
Je mehr Menschen sich mit der Verhandlung von Zielen beschäftigen, desto größer sind das Risiko der Manipulation und der Anreiz zu eigennützigem Überlisten des Systems. Das
Beyond Budgeting-Modell bietet einen praxiserprobten Ausweg aus dieser Sackgasse: Weg von der Kultur der Zielverhandlung und hin zu einer echten Leistungskultur.
Budgets sind heute das vorrangige Instrument, mit dem Manager in der Praxis die Strategie ihrer Organisationen dokumentieren und kommunizieren. Strategie wird dabei in quantitative, überwiegend finanzielle Maßzahlen übersetzt. Dieser Prozess selbst ist
Opfer von Manipulation und Verhandlung. Und er lässt viele Dimensionen der Leistung außer Acht: Die nicht-finanziellen Dimensionen der Leistung. Mittel- und langfristige Effekte. Mögliche Änderungen in Umwelt und Organisation über den Planungszeitraum hinweg.
Budgets sind in der Praxis nicht das einzige Instrument zur Vorgabe und zur Messung von Leistung. Jedoch:
Balanced Scorecards,
Konzepte des Wertmanagements, Total Quality Management und neue Techniken der Zielvereinbarung, Mitarbeiterbewertung und Vergütung haben am „fixierten“ Leistungsvertrag bislang selten etwas grundlegend geändert. Scorecards etwa funktionieren in der Praxis zumeist ganz ähnlich wie Budgets, weil sie letztlich jahresbezogene Ziele festschreiben und die Zielerreichung durch Anreize implizit oder explizit erzwingen. Damit kommt ein fixierter Leistungsvertrag in vier Scorecard-Dimensionen zustande – der aber mit Strategie, mittel- und langfristiger Leistung und kontinuierlicher Verbesserung wenig zu tun hat.
So lähmen Scorecards am Ende häufig die strategische Steuerung als kontinuierlichen und einbeziehenden Prozess und lassen sie wieder zu einem jährlichen Event (meist einfach der Budgeterstellung vorgelagert) verkommen. Enttäuschend auch, dass derartige Praktiken dann auch noch als „beispielhafte Anwendungen“ dargestellt werden.
Gängige Ziele und Zielsysteme - enthalten in Scorecards, Plänen, Budgets oder Verkaufsquoten -
fördern eine Kultur der Innen- und Kurzfrist-Orientierung, der Minimalisierung von Ergebnissen und der Verschwendung. Unternehmen, die sich von Budgetierung und fixierten Leistungsverträgen verabschiedet haben, zeigen eine praktische und gangbare Alternative auf: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit werden erhöht, Steuerung massiv dezentralisiert und radikal vereinfacht.
Wie das Set der Beyond Budgeting-Gestaltungsprinzipien in konkrete Gestaltungsinitiativen übertragen werden kann
Die
12 Steuerungsprinzipien des Beyond Budgeting-Modells sind kein Menü, aus dem sich Unternehmen und Manager je nach Belieben ein paar Rosinen herauspicken sollen. Und es sind auch keine „Instrumente“ oder Tools. Vielmehr umreißen die Prinzipien ein in sich geschlossenes und – das können wir gar nicht genug unterstreichen! – unteilbares Konzept. Die Forschung des BBRT zeigt nämlich auf, dass Organisationen erst dann, wenn sie die 12 Gestaltungsprinzipien insgesamt beherrschen und beherzigen, zu einem wahrhaft flexiblen, dezentralisierten, kosteneffizienten, ethischen und dauerhaft wettbewerbsfähigen Leistungsmanagement kommen.
Die Tatsache, dass diese Steuerungsprinzipien zusammenwirken und zusammengehören ist der Schlüssel zum Verständnis des Modells. Und gleichzeitig der Schlüssel zur Überwindung der gravierenden Defizite, denen heutige Organisationen und ihre Mitglieder durch traditionelle Management-Praktiken wie die Budgetierung ausgeliefert sind.
Abb. 1: Die 12 Steuerungsprinzipien des Beyond Budgeting-Modells
Die Steuerungsprinzipien schaffen ein
Verständnis für die Eigenschaften „besseren Managements“ und dafür, inwiefern sich das anpassungsfähige, dezentralisierte Steuerungsmodell von der hierarchisch-bürokratischen Budgetsteuerung unterscheidet. Gleichzeitig bilden sie eine hervorragende Checkliste zur Einschätzung des derzeitigen Steuerungsmodells einer Organisation. Oder zur Beurteilung des Fortschritts während des Übergangs zum neuen Steuerungsmodell ohne Budgets.
Mit Prinzipien allein lässt sich Beyond Budgeting aber selbstverständlich nicht umsetzen. Denn Prinzipien sind nicht unbedingt ausreichend als spezifischer Leitfaden für die Implementierung. Eine wichtige Frage von Praktikern zu Beginn der Reise nach jenseits der Budgetierung ist zudem:
in welchen Aktionsfeldern, an welchen Prozessen und Tools müssen wir Änderungen vornehmen, damit sich eine Organisation einer besseren, den Beyond Budgeting-Prinzipien folgenden Steuerung annähert? An welchen Stellschrauben des Steuerungssystems muss in jedem Falle gedreht werden?
Eine Antwort darauf gibt Abb. 2. Hier werden Neun Gestaltungsfelder für den Wandel nach Beyond Budgeting identifiziert. Es handelt sich um Prozesse und Tools, zusammengefasst zu Management-Kernbereichen, wie sie Controllern und Managern geläufig sind.
Die Neun Gestaltungsfelder machen Beyond Budgeting für Praktiker „handhabbar“ und weisen den Weg für erfolgreiche Übersetzung des Modells in organisationsindividuelle Konzepte. Der Wandel von der Budgetsteuerung zu einem Steuerungsmodell, das den Beyond Budgeting-Prinzipien folgt, mag dabei insgesamt durchaus „revolutionär“ anmuten. Die Umsetzung erfolgt jedoch immer auf „evolutionäre“ Weise: Sie folgt einem Pfad zahlreicher (oft dutzender) Veränderungen, die Schritt für Schritt innerhalb der aufgezeigten Gestaltungsfelder stattfinden.
Abb. 2: Neun Gestaltungsfelder für den Weg zum Beyond Budgeting-Modell
Auch hierbei gilt es zu berücksichtigen: Beyond Budgeting ist kein loser Baukasten, aus dem man sich nach Belieben den einen oder anderen Baustein herausfischen kann: Die Kohärenz und Konsistenz des neuen Modells ist entscheidend – nicht die Nutzung bestimmter Tools oder die Beherzigung einzelner Aspekte des Modells. Kaum eine Organisation wird darauf verzichten können, in jedem der Neun Felder Veränderungen und Innovationen vorzunehmen, um ein integriertes und kohärentes Modell für bessere Steuerung zu entwickeln.
Der erste Schritt hin zum neuen Steuerungsmodell „jenseits der Budgetierung“: Fixierte Leistungsverträge brechen und durch relative Leistungsverträge ersetzen
Das Managementmodell Beyond Budgeting geht über die bloße Forderung nach „Steuerung ohne Budgets“ hinaus.
Bei Beyond Budgeting geht es vielmehr um die Abschaffung einer ganzen Palette von Erscheinungsformen unflexibler Handlungsvorschriften. Diese Feststellung ist fundamental für jede Beyond Budgeting-Initiative. Denn wenn wir die Steuerung in heutigen Unternehmen genauer betrachten, dann stellen wir fest, dass die Handlungen von Managern und Mitarbeitern gleich durch ein ganzes Paket vorfixierter Leistungsverträge in ein starres Korsett gezwungen werden:
- Durch persönliche Ziele und Arbeitsanweisungen, die jährlich vereinbart werden.
- Durch jahresbezogene Budgets und andere Abteilungs- und Bereichsziele.
- Durch jahresbezogene, an Konzern-Holding oder Gruppe übermittelte Budgets und Ziele (selten ganz identisch mit der vorgenannten Spezies).
- Durch jahres- und quartalsbezogene externe Leistungsversprechen, Unternehmensziele oder Konzernberichte.
Diese vielschichtigen Vorgaben machen es schwer oder unmöglich, Pläne mehr als einmal im Jahr zu aktualisieren oder Veränderungen schnell und angemessen zu berücksichtigen. Sie zwingen Manager und Mitarbeiter im Gegenteil sogar, einem jährlich fest vorgegebenen Weg zu folgen, „koste es, was es wolle“. Und sie zwingen zu einer Reihe von schädlichen Verhaltensweisen: Vom einfachen „Herunterhandeln“ individueller Leistungsziele auf „erreichbares“ Niveau, bis hin zur bewussten Mittelverschwendung, Manipulation der Buchhaltungsdaten oder zum Betrug im Stil schwerster „Enronitis“. Fixierte Leistungsverträge führen zu einer Kultur des innengerichteten, inkrementellen Fortschritts. Sie blockieren andererseits Innovation, strategische Erneuerung und ambitionierte, marktorientierte Zielsetzung.
Dreh- und Angelpunkt der Unternehmenssteuerung ohne Budgets ist entsprechend nicht allein der Verzicht auf Budgets. Sondern die Verwendung neuer, „relativer“ Leistungsverträge nach außen und nach innen, im Gegensatz zu den heute dominierenden „fixierten“ und „absoluten“ Leistungsverträgen.
In Management „jenseits“ der Budgetierung erfährt der Leistungsbegriff somit eine neue Definition. Das Steuerungsmodell Beyond Budgeting setzt satt fixierter Leistungsverträge mit ihren schädlichen Verhaltenseffekten auf relative Leistungsverträge. Diese beruhen auf der Annahme, dass es unklug ist, Manager und Teams zu einem vorab fixierten Ziel zu verpflichten - und anschließend ihre Handlungen und Maßnahmen gegenüber diesen Zielen zu kontrollieren. Die implizite Abmachung zwischen Leitung, Managern und Mitarbeitern im relativen Leistungsvertrag lautet vielmehr, dass es „nur“ Aufgabe der Unternehmensleitung ist, ein herausforderndes und offenes Handlungsklima zu schaffen, in dem sich Teams und Mitarbeiter dann zur Erarbeitung kontinuierlicher Leistungsverbesserung verpflichten (in der Budgetsteuerung bleibt dies alles nur zu oft ein Lippenbekenntnis!). Manager und Teams haben dabei ihrem Wissen und eigener Urteilskraft zu folgen, um sich veränderlichen Bedingungen und Umfeldern anzupassen.
Dieser neue Typ des Leistungsvertrags beruht auf gegenseitigem Vertrauen, nicht auf Misstrauen. Er ist dennoch keineswegs „soft“: Hohe Niveaus von Vertrauen und Verantwortung halten sich nämlich im Beyond Budgeting-Modell die Balance. Größere Leistungstransparenz und höhere Erwartungsniveaus an Teams und Manager relativ zu Wettbewerb, zu ihresgleichen oder zu Vorperioden stellen konstant hohe Anforderungen innerhalb von Beyond Budgeting-Organisationen - die erfüllt werden müssen oder zu (ebenfalls transparenten) Konsequenzen führen. Leistungsverantwortung wird zudem schrittweise vom Zentrum der Organisation auf dezentrale Entscheider und Teams übertragen. Dies bedeutet einen Wandel im Führungsprozess und zugleich einen kulturellen Wandel.
Aber was geschieht konkret mit den Zielen? Beyond Budgeting-Organisationen, das zeigen die Fallstudien des BBRT deutlich, kommen ohne Vereinbarung oder Verhandlung absoluter Ziele aus, die letztlich ohnehin nur auf inkrementellen, graduellen Fortschritt gerichtet sind und die so oft postulierte „Ausgewogenheit zwischen Anspruch und Erreichbarkeit“ nur vorgaukeln. Vielmehr wird ein Zielsetzungsprozess praktiziert, der herausfordernde, aber hochgradig flexible und dynamische Ziele definiert, die mittel- und langfristig maximale Anstrengung und relative Verbesserung fördern. Die Abb. 3 zeigt am Beispiel eines finanziellen Indikators, wie unterschiedlich Leistungsmessung und -bewertung mit fixierten und relativen Zielen ausfallen.
Abb. 3: Die Schwächen absoluter Ziele im Vergleich zu relativer und an Marktleistung orientierter Leistungsmessung - am Beispiel eines finanziellen Leistungsindikators
Der
erste notwendige Schritt zum neuen, relativen Leistungsvertrag ist: Ziele von der Leistungsbewertung und Vergütung abzukoppeln. Diese Trennung zwischen Wollen und Bewertung gewährleistet, dass Manager und Teams auf maximale (nicht: verhandelte oder manipulierte) Ergebnisse hinarbeiten. Sie minimiert zugleich die Motivation aller Beteiligten, von vornherein niedrige („erreichbare“) Ziele auszuhandeln.
So funktionieren relative Ziele und wahrhaft dynamische Leistungsmessung
Eines der Grundprinzipien im Beyond Budgeting ist die ausschließliche Verwendung relativer Zielgrößen und Leistungsvergleiche. Alle Ziele einer Organisation sollten und können in relativer Weise ausgedrückt werden, denn es gibt eine ganze Reihe verschiedener Arten relativer Ziele, die alle den Anspruch auf hohe Relevanz und Flexibilität erfüllen. Weil sie Leistung relativ zu tatsächlich realisierten Vergleichsmaßstäben bewerten. Wir wollen hier grob zwischen drei Typen von relativen Zielen unterscheiden:
- Externe Benchmarks und Bestleistungen: Relative Leistung im Vergleich zu Marktumfeld, externen Wettbewerbern und Konkurrenz - der ultimative Leistungs-Maßstab.
- Interne Benchmarks und Bestleistungen: Zwischen Kollegen, Einheiten, Filialen, Standorten, Projekten usw. - den internen, sportlichen Wettbewerb fördernd, vor allem in Organisationen, die über eine Vielzahl relativ homogener Leistungseinheiten verfügen.
- Herausfordernde Stretch Targets und Trendbeobachtungen im Vergleich zu realisierter Leistung aus Vorperioden: Die Notwendigkeit zu kontinuierlicher Verbesserung und Innovation unterstreichend. Dort einsetzbar, wo direktes Benchmarking nicht möglich oder nötig ist.
Die Vorzüge der Verwendung relativer Ziele lassen sich gut an Praxisbeispielen aufzeigen. Ein wichtiges Instrument aus dem Repertoire einiger der erfolgreichsten Beyond Budgeting-Organisationen sind Ranglisten oder Liga-Tabellen. Ranglisten, so haben diese Unternehmen gelernt, sind ein außerordentlich machtvolles Steuerungsinstrument. Svenska Handelsbanken, Ahlsell und Aldi setzen derartige Tabellen seit langem konsequent für das Leistungsmanagement ein. Handelsbanken etwa verwenden relative Ziele sowohl an der Unternehmensspitze als auch intern - um quartalsweise bzw. monatlich externe und interne Leistungsvergleiche anzustellen. Auf Unternehmensebene wird die eigene Leistung relativ zu Konkurrenten betrachtet; Regionen und Filialen der Bank vergleichen ihre Leistungen monatlich in den Tabellen untereinander und haben so einen ständigen Überblick über die Ergebnisse der Kollegen. Ressourcen werden ebenfalls auf diese Weise gesteuert - mittels einfacher, übersichtsartiger und wirkungsvoller Effizienzindikatoren wie „Kosten über Ertrag“ (siehe Abb. 4).
Abb. 4: Verwendung von Ranglisten am Beispiel Svenska Handelsbanken
Warum sind Ranglisten besser als traditionelle, fixierte Ziele und was zeichnet sie aus? Sie sind wenig detailliert und damit überaus einfach. Intuitiv allen Mitarbeitern verständlich und interessant. Kontinuierlich „sportlich“ herausfordernd und selbstanpassend. Dynamisch auf Änderungen in Umfeld und Wettbewerb reagierend. Nicht nach Schuldigen und Verfehlungen suchend, sondern auf Verbesserungspotenziale und Herausforderungen hindeutend. Ranglisten richten die Aufmerksamkeit von Management und Mitarbeitern dauerhaft auf diejenigen Leistungsmaßstäbe, die wirklich zählen: auf den externen und internen Wettbewerb und auf kontinuierliche Verbesserung. Denn sie weisen nicht Ressourcen-Inputs aus, sondern Ergebnisse. Und schaffen mithin größtmöglichen Freiraum dahingehend, wie Teams ihre Arbeit angehen und Ergebnisse realisieren. Bei Handelsbanken laufen Leistungs-Ranglisten, hochgradig verdichtete Indikatoren (KPIs), Benchmarks, Trendbeobachtungen und Ist-Ist-Vergleiche einfach immer weiter – prinzipiell über Jahre und manchmal Jahrzehnte hinweg ohne größere Modifikationen.
Trotz ihrer Vorzüge sind Ranglisten - und ebenso andere Formen des Leistungs-Benchmarkings - in der Praxis völlig unterverwendet. Denn selbst dort, wo in budgetgesteuerten Unternehmen Leistungsvergleiche dieser Art erstellt werden, bleibt deren Wirkung durch den parallel existierenden, fixierten Leistungsvertrag ausgehebelt. Wo fixierte Ziele weiter bestehen, da sind Rankings und Benchmarks von weit geringerem Gewicht, werden weniger nachhaltig verwendet und sind kaum jemals derartig fest im Tagesgeschäft verankert wie herkömmliche Budgets und Detailvorgaben. Die Nutzung von Benchmarks bleibt sporadisch und im Zusammenhang mit Managementdialog und Entscheidungen weitgehend irrelevant.
Ganz anders sieht die Praxis bei Ahlsell, Aldi und Handelsbanken aus. Hier werden Rankings anstelle von Budgets zur Zielbildung und Leistungsmessung eingesetzt - nicht als „zusätzliches Gimmick“ oder Zierwerk. Unternehmen wie Svenska Handelsbanken haben keine fixierten Pläne oder jährlichen Zielvereinbarungs-Runden. Sie haben verblüffend einfache und konsequente Wege gefunden, um hochgradig flexibel und fokussiert zu steuern. Die resultierenden Steuerungs- und Kontrollprozesse sind extrem informell, schnell und effizient. Sie fördern eine Kultur persönlicher Verantwortung in der Organisation: Relative Ziele gewähren nämlich Freiraum und Autonomie zur Zielerreichung, statt Manager in ein enges Korsett von Vorgaben zu zwängen. Die Akteure der Organisation lernen auf eigene Initiative hin zu handeln.
Abb. 5.: Von fixieren Budgetzielen zu relativen Key Performance Indicators: Warum relative Ziele besser sind
Weil Leistungs-Maßstäbe und Benchmarks immer höher gelegt werden, ist es eher als mit Budgetsteuerung und fixierten Zielen möglich, Reaktionsfähigkeit, Profitpotential und Ergebnisse zu maximieren. Leistungsvergleiche mit relativen
Schlüsselindikatoren sind aufgrund ihrer Einfachheit und Klarheit weitaus „strategischer“ und dynamischer als Budgets und vorfixierte Ziele (siehe Abb. 5).
Kontrolle, Leistungsbewertung und Vergütung: Neudesign und funktionaler Wandel
Gerade für Controller interessant: In einem Regime relativer Leistungsverträge wird das Augenmerk von Kontrolle und Leistungsbewertung auf andere Zahlen und andere Leistungsreferenzen gerichtet. Salopp gesagt: Beyond Budgeting bedeutet das Ende des
Soll-Ist-Vergleichs. In der Tat wird mit Beyond Budgeting ein ganz anderer Typ von Leistungsinformation und Reporting erforderlich. Unsere Erfahrung zeigt, dass bei der Umstellung vom budgetbasierten
Reporting auf ein Informationswesen „Beyond Budgeting“ oft nur 10% der ursprünglich intern verwendeten Reports Bestand haben. Das heißt: Rund 90% des traditionell den Managern und Teams für Analyse, Dialog und Entscheidung vorgelegten Zahlenwerks, der traditionellen Detailreports und Leistungsvergleiche werden langfristig obsolet oder erfahren zumindest drastische Veränderungen. Der
Übergang von Plan-Ist-Vergleichen zu Ranglisten, Benchmark-Indikatoren (in oft grafischer Darstellung), und Trendbeobachtungen mittels „Ist-Ist-Vergleichen“ ist ein notwendiger, früher Schritt auf dem Weg zu dynamischer Steuerung. Es ist zugleich ein befreiender und empowernder Schritt für dezentrale Teams und Geschäftseinheiten. Abb. 6 zeigt einige der Richtlinien für diese Neuformulierung des Reportings auf.
Abb. 6: Leistung dynamisch bewerten – eine Neuausrichtung für Manager und Controller
Eine weitere substanzielle Veränderung im relativen Leistungsvertrag ergibt sich aus dem Zusammenhang von Zielen, Leistungsbewertung und Vergütung. In der traditionellen, patriarchalischen oder „tayloristischen“ Führungsphilosophie sollen Ziel- und Anreizsysteme zu aktiver Verhaltensbeeinflussung und -kontrolle beitragen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Lösung zu maximaler Mitarbeitermotivation und Unternehmenserfolg irgendwo in der richtigen Mischung von Zielen und Anreizen innerhalb eines vorab fixierten Leistungsvertrags liegt. Ziel-, plan- und budgetbasierte Anreizsysteme setzen im Kontext dieser Steuerungstradition voraus, dass Manager für das Erreichen ihrer Ziele in einer Periode belohnt werden sollen, und umgekehrt bestraft werden sollten, wenn sie diese nicht erreichen.
Die auf diesem Prinzip beruhenden, heute allerorts anzutreffenden Systeme „leistungsorientierter Vergütung“ erweisen sich in der Anwendung aber oft als wahre Mogelpackung. Mit „Leistungsorientierung“ haben sie nur wenig zu tun. In Wahrheit führen diese Systeme zu einer Vielzahl dysfunktionaler, schädlicher und sogar oft unethischer Verhaltenseffekte, weil sie fast immer auf absoluten und fixen Leistungsverträgen beruhen. Wenn wir die zugrunde liegenden Methoden und Vergütungsformeln genauer betrachten, dann fällt auf, dass hier nicht wirklich „Leistung“ eingefordert und belohnt wird, sondern vielmehr ein bestimmter Grad der Plan- oder Zielerreichung. Belohnt werden sollten aber im Sinne eines Unternehmens nicht die Niveaus, zu denen vorab verhandelte Ziele erfüllt werden. Sondern ausschließlich Ergebnisse von Arbeit und Leistung. Das Beyond Budgeting-Modell kommt dieser Forderung im Hinblick auf Ziele und Leistungsbewertung nach.
Leistungsbeurteilung und Vergütung im relativen Leistungsvertrag, also in einem auf Beyond Budgeting-Prinzipien beruhenden Steuerungsmodell, finden niemals gegenüber selbst gesetzten, angeordneten oder verhandelten fixen Zielen bzw. geplanter Leistung statt. Erbrachte Leistung wird vielmehr differenziert gegenüber realen Vergleichsleistungen – Wettbewerb und Konkurrenten, internen/externen Kollegen oder Vorperioden – bewertet. Vor dem Hintergrund der wirklich eingetretenen Umstände.
Der Umstieg vom fixierten zum relativen Leistungsvertrag erfordert einen mehrdimensionalen Paradigmenwandel. Zum einen weg von der planbasierten Nabelschau und von traumtänzerischen, bürokratischen Zahlenspielen hin zur transparenten, ungeschminkten Sicht auf die reale Situation. Egal, ob diese Aussicht nun gerade angenehm erscheint, oder nicht. Zum anderen wird im Beyond Budgeting-Modell Motivierung durch Herausforderung ersetzt: Statt das Verhalten der Mitarbeiter durch monetäre Anreize, Zwang und Verhand-lung aktiv beeinflussen zu wollen, legen Führung und Management in Beyond Budgeting-Organisationen ein Fundament für die konstante Herausforderung einer großen Zahl selbststeuernder und für klar definierte Kundenergebnisse verantwortlicher Teams. Dadurch wird langfristig hochgradig dezentrale Entscheidung und Verantwortung möglich.
Die Unterschiede zwischen fixiertem und relativem Leistungsvertrag sind mithin keineswegs marginal. Sie sind gewaltig! Nicht nur Budgets und traditionelle, vertikal abgestimmte Planung werden durch den Übergang von fixen zu relativen Zielen infrage gestellt. Denn die Abkehr von fixierten Zielen wirkt sich auf eine Vielzahl grundlegender Steuerungsprozesse aus. Darunter: Zielsetzung, Planung, Ressourcenverwendung, Kontrolle, Koordination, Leistungsbewertung, Vergütung. Gängige Formen des Plan-Ist-Reporting, Inhalte von Management-Gesprächen, Scorecard-Ziele, konventionelle Formen der Aktionsplanung, Ressourcenkoordination, Allokation und Vergütungssysteme - sie müssen teils verworfen, mit Sicherheit jedoch neu überdacht werden. Verantwortung wird im Beyond Budgeting-Unternehmen auf der Grundlage des relativen Leistungsvertrags schrittweise vom Zentrum der Organisation auf dezentrale Entscheider und Teams übertragen: Auf interne Dienstleister und externen Kunden dienende Geschäftseinheiten oder Profit Center. Dies bedeutet einen Wandel in den Führungsprozessen und erfordert zugleich einen kulturellen Wandel. Auch deshalb wird Beyond Budgeting kaum je eine Modeerscheinung werden: Die Umstellung erfordert umfassende Bereitschaft zur Veränderung und echtes Commitment zu einem neuen Steuerungsmodell. Einem Modell, das radikal dezentralisierte Unternehmen wie Southwest Airlines, Aldi, Toyota und Svenska Handelsbanken über Jahrzehnte hinweg so erfolgreich gemacht hat. Der Aufbruch lohnt sich.
Dieser Artikel wurde in leicht veränderter Form veröffentlicht in: Controller Magazin 5/2005 sowie im Tagungsband des Beyond Budgeting Summit 2005 in Frankfurt (als Buch erschienen im Martin Meidenbauer Verlag unter dem Titel „Beyond Budgeting“, herausgegeben von Jürgen Daum).
Niels Pfläging:
Niels Pfläging ist Diplom-Ökonom und Präsident der MetaManagement Group. Er unterstützt Organisationen in Europa und Lateinamerika bei der Neugestaltung ihrer Steuerungsmodelle. Als Controller war er mehrere Jahre in verschiedenen multinationalen Unternehmen tätig, zuletzt als Business Controller im Thyssen-Krupp Konzern. Seit 2002 ist er offizieller Repräsentant des Beyond Budgeting Round Table (BBRT) in Südamerika. Niels Pfläging ist Autor des Wirtschaftsbestsellers „Beyond Budgeting, Better Budgeting – Ohne feste Budgets zielorientiert führen und erfolgreich steuern“, der 2003 beim Haufe Verlag erschienen ist.
letzte Änderung Niels Pfläging
am 31.05.2022
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