Selbst wenn die Fakten für eine
Investition sprechen, kann sich ein Manager dennoch dagegen entscheiden. RWE hat
Entscheidungsprozesse mit den Mitteln der Verhaltensforschung untersucht und verwendete das Konzept der "
Biases". Dafür erhielt der Energieriese den
ControllerPreis 2015. Projektleiter Peter Scherpereel (Foto) erklärt die Arbeit mit Biases im
Controlling.
Herr Scherpereel, Sie haben ein Team geleitet, das die Auswirkungen von Biases auf Investitionsentscheidungen beim Energieversorger RWE untersucht. Können Sie kurz erklären, was wir unter Biases verstehen müssen?
Dr. Peter Scherpereel: Biases werden im Deutschen häufig mit "Verzerrungen" übersetzt. Das trifft es aus unserer Sicht nicht genau. Wir sprechen lieber von "gedanklichen Abkürzungen", die ein Mensch bei Entscheidungen verwendet. Dabei sind Biases nicht per se schädlich. Es ist völlig normal, dass Entscheidungen durch Biases beeinflusst werden. Oft ist das sogar hilfreich, weil wir uns schneller entscheiden können.
Wie kam es bei RWE zu dem Projekt?
Scherpereel: Wir haben uns angeschaut, was wir als Konzern aus vergangenen Entscheidungen für die Zukunft lernen können und was jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse zu
Entscheidungsprozessen hierzu beitragen können. In der Vergangenheit hat sich das Controlling meist nur auf quantitative Analysen gestützt. So genannte "weiche" Faktoren im Entscheidungsprozess hatten hier im Vergleich eine unterschätzte Bedeutung. Im Controlling wollen wir ja die Rationalität unserer Entscheidungen sicherstellen. So sind wir auf das Thema Biases gestoßen.
Welche Biases haben Sie im Konzern gefunden?
Scherpereel: Wir haben uns zunächst angesehen, welche Biases die Wissenschaft beschrieben hat. Dann haben wir zahlreiche Interviews im Konzern geführt. Dabei fanden wir Indizien dafür, dass Biases auch bei Entscheidungsprozessen in unserem Haus eine Rolle spielen. Auch bei Personal- und
Investitionsentscheidungen. Wir fanden eine ganze Handvoll Biases. Ein Beispiel ist die Überschätzung eigener Fähigkeiten.
Nehmen wir den Bias der Selbstüberschätzung als Beispiel: Wie kann er Unternehmensentscheidungen negativ beeinflussen, und was kann man dagegen tun?
Scherpereel: Sie sehen es bei öffentlich bekannten
Projekten zum Beispiel an Stuttgart 21 oder am Flughafen in Berlin. Ein weiterer Bias ist ein übertriebener Optimismus. Auch die Folgen einer falschen Einschätzung künftiger Marktentwicklungen und -preise können immens sein. Daneben sind wir noch auf einen Bias gestoßen, den wir als Bestätigungsbias bezeichnen. Menschen neigen dazu, bei jeglicher Entscheidung die Argumente stärker zu gewichten, die eine Anfangshypothese unterstützen. Grundsätzlich ist das in Ordnung, weil man so erfahrungsbasiert schnell zu einer Einschätzung gelangt. Aber Argumente, die gegen die Anfangshypothese sprechen, kommen gegebenenfalls zu kurz.
Mit welchen Werkzeugen versuchen Sie bei RWE, den Einfluss von Biases zu kontrollieren?
Scherpereel: Zunächst haben wir im Unternehmen ein Bewusstsein für die Relevanz des Themas hergestellt. Angefangen mit dem Top-Management. Denn die Unterstützung durch das Management spielt eine wesentliche Rolle beim Erfolg eines solchen Projekts. Sich der Thematik bewusst zu sein, ist aber nur ein erster Schritt. Denn auch wenn man die Biases kennt, hat man sie noch nicht automatisch abgestellt. Daher haben wir nach Techniken gesucht, mit denen wir die Biases adressieren können, die wir bei RWE gefunden haben. Auch diese Techniken müssen erst eingeübt werden, und da lernen wir derzeit noch viel dazu: Welche Techniken lassen sich gut in die Konzernkultur einfügen, und welche passen weniger? Ein Beispiel ist der Advocatus Diaboli, der Anwalt des Teufels. In Diskussionen über wichtige Entscheidungen ziehen wir einen Kollegen hinzu, der gezielt gegen den Entscheidungsvorschlag argumentiert, der dem Management vorliegt. Kritische Anmerkungen sind hier ausdrücklich erwünscht und werden ernstgenommen. Dadurch sichern wir eine ausgewogene Diskussion.
Wie ist das Thema im RWE-Konzern angenommen worden?
Scherpereel: Unser Top-Management hat das Thema sehr positiv aufgenommen. Es wurde verstanden, dass jeder Mensch Biases unterliegt. Die Unterstützung unseres Vorstands hat dazu geführt, dass unser Ansatz bei Führungskräften im Konzern auf Interesse und Akzeptanz gestoßen ist.
Bei der Verleihung des ControllerPreises 2015 für Ihr Projekt haben Sie die Ansicht vertreten, Verhaltenscontrolling verspreche einen höheren Grenznutzen als das Verfeinern quantitativer Methoden im Controlling. Was meinen Sie damit?
Scherpereel: Das ist meine persönliche Einschätzung, die auf Erfahrungen basiert. In der Vergangenheit haben wir Entscheidungen des Managements mit sehr detaillierten quantitativen Analysen unterstützt. Im Rahmen des Projektes haben wir herausgefunden, dass sogenannte "weiche" Faktoren oft in Entscheidungen eine viel wichtigere Rolle spielen aber im Controlling nicht entsprechend berücksichtigt wurden. Wenn wir Entscheidungen weiter verbessern wollen, müssen wir ihnen im Entscheidungsprozess mehr Aufmerksamkeit schenken. Es geht also um eine Kombination aus quantitativen Analysen und "weichen" Faktoren im Controlling. Daran arbeiten wir.
Sie haben damit also keinen Widerspruch zwischen klassischem Controlling und dem Controlling von menschlichem Verhalten aufzeigen wollen?
Scherpereel: Traditionelles Controlling und quantitative Analysen bilden die Basis von Entscheidungsempfehlungen in Unternehmen. Sie allein führen aber nicht immer automatisch zu rationalen Entscheidungen. Das Verhaltenscontrolling ist meiner Meinung nach eine wichtige Ergänzung.
Lassen sich die Ergebnisse des Controllings von Biases messen?
Scherpereel: Da sehen wir im Moment noch ein Manko. Wir können den Effekt unserer Arbeit an Biases nie direkt messen. Quantitativ ist nicht nachzuweisen, ob das Ergebnis unserer Arbeit mit oder ohne Anwendung der Techniken anders ausgefallen wäre, da der Vergleichsmaßstab fehlt. Aber wir können Kollegen befragen, ob und wie sich nach ihrer Meinung Entscheidungsprozesse im Unternehmen verbessert haben. Uns ist es wichtig, Kollegen von den erarbeiteten Techniken zu überzeugen. Wenn viele erkennen, dass es einen Zusammenhang zwischen Entscheidungen und unseren Techniken gibt, dann ist das ein schöner Erfolg.
Von welchen Faktoren hängt nach Ihrer Einschätzung der Erfolg von einem Controlling der Biases ab?
Scherpereel: Zunächst einmal geht es, wie gesagt, nicht ohne Überzeugung im Top-Management. Denn das Top-Management ist als Entscheider letztlich der Hauptadressat. Im Fokus stehen schließlich die großen Entscheidungen. Danach ist wichtig, wie man das Thema in der Organisation ausrollt. Wir haben Workshops entwickelt und durchgeführt, wir haben das Thema über die Mitarbeiterzeitung und Informationsveranstaltungen kommuniziert. Zusätzlich haben wir Kollegen als Multiplikatoren gewonnen, die unser Anliegen weiter verbreiten. Und wir haben Transparenz über den Einsatz der Techniken in Entscheidungsvorlagen bei besonders wichtigen Entscheidungen verbindlich vorgeschrieben. Die Mitarbeiter sind nicht verpflichtet, die Techniken einzusetzen. Wir wollten nicht, dass jemand verpflichtet ist, mit unseren Techniken zu arbeiten. Wir verpflichten sie aber zur Angabe, ob sie unsere Verfahren eingesetzt haben. Dadurch hat das Management immer einen Eindruck davon, welche "weichen" Faktoren zur Reduktion von Biases ausdrücklich berücksichtigt wurden.
Braucht man externe Hilfe für die Arbeit an Biases?
Scherpereel: Ich will nicht ausschließen, dass es auch ohne geht. Uns hat es geholfen, dass wir externe Hilfe hatten. Es gab schließlich im Haus kein fertiges Konzept, das wir hätten übernehmen können. Außerdem hat uns die Außensicht geholfen, nicht nur eigene Prozesse zu hinterfragen, sondern auch von anderen zu lernen. Für uns war es außerdem wichtig, dass wir erfahrene Partner hatten, denn wir mussten ja auch Überzeugungsarbeit leisten.
Dr. Peter Scherpereel ist Senior Manager Group Controlling Generation + Trading bei RWE
Quelle:
RWE
letzte Änderung W.V.R.
am 25.08.2022
Autor:
Wolff von Rechenberg
Bild:
Scherpereel (privat), Vorschau: panthermedia.net / Werner Heiber
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Autor:in
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