Wenn man sich die negativen Schlagzeilen der letzten Jahre zu deutschen Großprojekten anschaut, überrascht die Überschrift vielleicht ein wenig. Berliner Flughafen oder die Elbphilharmonie sind hierbei nur zwei prominente Negativ-Beispiele unter vielen anderen.
Kostenüberschreitungen jenseits von gut und böse und von Termingenauigkeit ist nicht zu sprechen. Daher die Frage: Was können
Controller von
Großprojekten lernen?
Ursachen gescheiterter Planungen
Einen kritischen Faktor in der
Projektplanung stellt die
Prognose der
Kosten und
Nutzen dar. Eine Studie aus dem Jahr 2012 analysierte die Daten von 258 Infrastruktur Projekten aus insgesamt 70 Jahren. Das Ergebnis zeigt: 90 Prozent aller Projekte zeigen Kostenüberschreitungen. Die Ergebnisse dieser Studie finden sich auch in anderen Branchen wieder. Bei einer Untersuchung von 1.471
IT–Projekten wurde eine durchschnittliche Kostenüberschreitung von 27 Prozent ermittelt. Jedes sechste Projekt hiervon erreichte sogar eine Kostenüberschreitung von durchschnittlich 200 Prozent [1].
Besonders spannend ist hierbei die Frage,
wieso sich die Ergebnisse im Laufe der letzten Jahrzehnte
nicht verbessert haben? Verbesserter Informationszugang, Digitalisierung und neue Prognosemethoden haben nicht dazu beitragen können, dass wir heute eine gewisse Planungssicherheit gewährleisten können. Was kann daher als Ursache für diese drastischen PLAN – IST
Abweichungen herangezogen werden? Hierzu werden Faktoren herangezogen, die zwischen psychologischen und politischen Ursachen unterscheidet werden können.
Als
psychologischer Faktor wird Optimism Bias (deutsch:
optimistische Verzerrung) von Daniel Kahnemann als Grund für Planungsfehler analysiert. Er stellte fest, dass das menschliche Urteilsvermögen generell optimistisch geprägt ist.
Entscheidungen, die
Szenarien in der Zukunft betreffen werden daher meist positiv ausgelegt. Aus diesem Grund unterschätzen Menschen Kosten, Dauer und Risiken aber überschätzen den Nutzen ihrer Aktionen. Neben übermäßigem Vertrauen begründet Kahnemann dieses Verhalten mit der unzureichenden Berücksichtigung vorliegender Informationen [2].
Als
Politischer Faktor wird
Strategic misrepresentation (deutsch:
strategische Falschangaben) als Fehlerquelle in der Organisation angesehen. Hierbei wird durch politischen Druck der Organisation bzw. des Unternehmens, der Planer veranlasst seine Planung positiver darzustellen, um gegen andere Projekte zu gewinnen bzw. um überhaupt eine Freigabe für sein Projekt zu erhalten. Obwohl beide Faktoren unterschiedliche Erklärungen vorweisen, resultieren sie beide in ungenauen Prognosen und unrealistischen Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen /
Business Cases.
Reference Class Forecasting als Schlüssel zum Planungserfolg
Reference Class Forecasting basiert auf den Theorien zu
Entscheidungen unter
Unsicherheitsbedingungen von Daniel Kahnemann, der hierfür den Nobel Preis in Wirtschaft erhalten hat.
Das Prognosemodell soll die
Planungsgenauigkeit erhöhen, in dem die sogenannte Außensicht in die Planung mit einbezogen wird. Herkömmliche Planungsmethoden basieren meist alleine auf der
Innensicht des jeweiligen Planungsobjektes. Hierbei wird das Projekt alleinstehend betrachtet, besonderer Fokus auf die Eigenheiten des Projektes gelenkt und dementsprechend auch geplant.
Die
Außensicht stützt sich auf die Erfahrungswerte von vergleichbaren Projekten in einer Referenzklasse. Die Berücksichtigung dieser Informationen, bei der Prognose von neuen Projektabschätzungen, schafft Transparenz, Objektivität und minimiert hierdurch die Einflussnahme von Optimism Bias und Strategic Misrepresentation im Planungsprozess. Reference Class Forecasting versucht nicht spezifische Vorgänge zu prognostizieren, die in einem bestimmten Projekt vorkommen können, sondern platziert das Projekt in einer
statistischen Vorhersage aus der Referenzklasse [4].
Anwendungsmöglichkeiten im Controlling
Grundsätzlich lässt sich Reference Class Forecasting für alle planungsrelevanten Themen einsetzen. Prädestiniert für den Einsatz im Controlling ist das Modell vor allem bei der
Business Case Erstellung bzw. Validierung. Jede
Investition, sei es in ein neues Produkt, IT Projekte oder Ersatzinvestitionen, benötigt einen verlässlichen Business Case, der folgende Fragen beantwortet: Lohnt sich das Investment für das Unternehmen?
Voraussetzung für die Anwendung dieses Planungsansatzes ist eine ausreichende
Datenbasis von
Vergangenheitswerten. Hierzu werden vor allem die ursprünglichen Planungsdatem zurückliegender Investitionen und deren tatsächlich eingetretenen IST-Werte benötigt. Auf Basis dieser Vergangenheitswerte kann ein Tool (z.B. mit
Excel) entwickelt werden, das die Grundlage für die Validierung von Business Cases bildet.
Im folgenden Beispiel wird nur der Parameter
Kosten analysiert. Bei gegeben Datenbestand lassen sich natürlich auch noch Umsatz/Nutzen, Termingenauigkeit, Qualität und weitere Parameter erfassen.
Drei Schritte sind notwendig zur Durchführung von Reference Class Forecasting:
Schritt 1: Identifizierung einer relevanten Referenzklasse von vergangenen ähnlichen Projekten:
Die
Referenzklasse muss groß genug sein, um eine statistisch sinnvolle Analyse zu ermöglichen, jedoch so begrenzt, dass die Vergleichbarkeit innerhalb der Projekte bestehen bleibt. Die Referenzklassen können sowohl interne als auch externe Projekte/Produkte sein. In diesem Beispiel werden im ersten Schritt 8 Attribute erfasst, die zur Identifizierung der Referenzklasse herangezogen werden.
Schritt 2: Aufbau einer Wahrscheinlichkeitsverteilung für die ausgewählten Referenzklasse:
Dies erfordert den Zugang zu nachvollziehbaren,
empirischen Daten für eine ausreichende Anzahl von Projekten innerhalb der Referenzklasse, um statistisch aussagekräftige Schlussfolgerungen machen zu können.
Auf Basis der gewählten Attribute im ersten Schritt wird der Datenbestand gefiltert und die relevanten Plan/Ist Abweichungen der vorliegenden Projekt –und Produktdaten in die
Wahrscheinlichkeitsverteilung übernommen.
Die Berechnung enthält die
Gesamtabweichungen für den festgelegten Jahreszeitraum, der bei Bedarf geändert werden kann. So lesen Sie das Diagramm:
- Die X-Achse stellt die prozentuale Kostenabweichung dar.
- Die Y-Achse zeigt den Anteil der Projekte, die diese Kostenabweichungen mind. erfüllen.
- Die rote Linie zeigt die tatsächliche Verteilung,
- während die Schwarze Linie als Trendlinie fungiert.
In dieser
Wahrscheinlichkeitsverteilung haben zum Beispiel 70 Prozent aller Projekte eine Kostenüberschreitung von mindestens 50 Prozent. Der Mittelwert der Abweichungen liegt bei 22 Prozent mit einer Standardabweichung von 51 Prozent.
Schritt 3: Vergleich zwischen dem spezifischen Projekt mit der Referenzklasse, um das wahrscheinlichste Ergebnis für das jeweilige Projekt zu ermitteln:
Im letzten Schritt des Reference Class Forecasting, werden die Daten des zu beurteilenden Business Cases mit der ausgesuchten Referenzklasse
verglichen. Auf Basis der Wahrscheinlichkeitsverteilung und ggf. eines zusätzlichen Risikofaktors wird ein prozentualer
Ab- bzw. Aufschlag errechnet. Dieser wird dann im Vergleich zum bisherigen Business Case gesetzt, um mögliche Differenzen direkt ausweisen zu können.
Im Beispiel wird anhand der Wahrscheinlichkeitsverteilung ein
Kostenaufschlag von 105 T€ im Vergleich zum bisherigen Business Case empfohlen.
Schlusswort
Die beiden negativen Planungsfaktoren Optimism Bias und Strategic misrepresentation können mit Hilfe einer
objektiven Beurteilung von Investitionsentscheidungen minimiert werden. Klar, ist es nicht möglich den Faktor Mensch komplett aus der Planung zu eliminieren, jedoch stellt das Reference Class Forecasting eine Methode dar, um die Außensicht in die Planung einfließen zu lassen (bekämpft Optimism Bias) . Eine
transparente, objektive Entscheidungsgrundlage hilft dabei zwischen mehreren Investitionsmöglichkeiten / Projekten das profitabelste auszuwählen (bekämpft strategic misrepresentation).
Fußnoten:
[1] Flyvberg, B. (2011): Over Budget, over Time, over and over again. Managing major projects. In: The Oxford Handbook of Project Management, 2011, S. 321-344
[2] Kahneman, D.; Tversky A. (1979): Prospect Theory: An analysis of decision under risk, In: Econometrica, 1979, Nr. 2, S. 263-291
[3] Flyvberg, B. (2011): Over Budget, over Time, over and over again. Managing major projects. In: The Oxford Handbook of Project Management, 2011, S. 321-344
[4] Flyvberg, B. (2006): From Nobel Prize to Project Management. Getting risks right, In: Project Management Journal, 2006, Nr. 37, S. 5-15
letzte Änderung A.E.
am 10.08.2022
Autor:
Artur Exler
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Autor:in
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Herr Artur Exler
Spezialisiert auf die Themen Financial Modelling, Reference Class Forecasting, Reporting Design und Excel Tools. Neben seinem Controlling Beruf, betreibt er einen Blog rund um das Thema Microsoft Excel (www.excel-koenig.de)
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