Es war wieder soweit. Nach einer anstrengenden Woche trafen sich die erfolgreichen Unternehmer der Kleinstadt wieder im örtlichen Golfclub, weniger des Sportes wegen, sondern hauptsächlich, um unter sich zu sein. Sie saßen im gemütlichen Kaminzimmer und wurden von Ihrer Lieblingskellnerin Pauline bedient. Sie war BWL-Studentin und freute sich schon immer auf die Unternehmerrunde.
Neben den großzügigen Trinkgeldern gab es häufig amüsante Streitgespräche, im Laufe derer die Unternehmer ihr Praxisferne vorwarfen, sie aber häufig mit neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen ganz frisch aus der Vorlesung für Verblüffung sorgen konnte. Dies war für die erfolgsgewohnten Unternehmer nicht ganz unwichtig, denn als Patriarchen der alten Schule gab es in ihren Unternehmen keine ausgeprägte Diskussionskultur. Viele ihrer Mitarbeiter hatten sich damit abgefunden, dass der Chef immer Recht hatte und wagten kaum noch, auf Probleme hinzuweisen. Auch deswegen war der Golfclub nützlich, denn von Kollegen konnte man ja Ratschläge (und natürlich Aufträge) annehmen.
Der Ablauf der munteren Runde startete immer gleich. Nachdem jeder unaufgefordert sein Lieblingsgetränk erhalten hatte, wurde gefragt: „Nun, Paulinchen, was hast Du denn diese Woche Besonderes an der Hochschule gelernt?“ Meist wurde noch ein Studentenwitz angehängt (schön, dass Du uns zuliebe schon um 15 Uhr aufgestanden bist).
Am heutigen Tag wurde über die Erhöhung des Bürgergeldes gesprochen, welches in dieser Runde natürlich keinen guten Ruf genoss. Mit einer Ausnahme war man sich einig, dass sich das Arbeiten nicht mehr lohnen würde. Die Ausnahme bestand in
Andreas Ampel, der trotz der unglaublichen Serie von Fehlleistungen der Ampel-Regierung noch ihr Fan war.
Er triumphierte: „Hier habt Ihr es schwarz auf weiß. Das WSI hat mit vielen Modellrechnungen nachgewiesen, dass sich Arbeiten lohnt.
„WSI?“ tönte es aus der Runde.
Stefan Steuer, der Chefcontroller eines Markenartiklers, erklärte, dass es sich um das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung handele.
Andreas Ampel: „Ja, und die Ergebnisse sind eindeutig.“
Dieter Durchblick, der Wirtschaftsredakteur, musste sofort korrigieren: „Die Untersuchung hat nur gezeigt, dass jemand mit Niedriglohn am Monatsende etwas mehr Netto auf dem Konto hat, zumindest in vielen Fälle. Aber das Ganze gilt natürlich nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Pauline, weißt Du, was das hier bedeutet?“
Pauline war froh, dass sie an der Hochschule gerade dieses wichtige Thema diskutiert hatten. Sie führte aus: „Ja, zunächst muss positiv festgehalten werden, dass die Studie richtigerweise auch die Sozialleistungen berücksichtigt, welche gerade kinderreiche Familien mit geringem Einkommen erhalten. Danach ist unstrittig, dass im ersten Schritt die Arbeitenden etwas mehr Geld haben als die Bürgergeld-Empfänger. Aber die Studie und auch viele andere Studien blenden die zweite Seite einfach aus, die fast immer alles umdreht.“
Andreas Ampel wurde unruhig: „Gut Pauline, dass Ihr das mit den Sozialleistungen für Geringverdiener erkannt habt. Aber was soll denn diese zweite Seite sein?“ Das wollten auch die Anderen wissen.
Pauline fuhr fort: „In so einem Vergleich kann man nicht nur die Einkünfte vergleichen. Denn der Arbeitende muss im Gegensatz zum Bürgergeld-Empfänger auf viel freie Zeit verzichten. Ein Arbeitsverhältnis ist ja ein Tausch Geld gegen Arbeitszeit. Wir haben nach Berücksichtigung von Urlaub und Feiertagen mit durchschnittlich 7 zusätzlich verplanbaren Stunden pro Arbeitstag gerechnet, weil ja auch die Fahrtzeiten wegfallen. Und jetzt ist es natürlich entscheidend, was der Bürgergeldempfänger mit dieser Zeit macht.“
Dieter Durchblick war sehr zufrieden: „Sehr gut, Pauline. Die Studie kann man weitgehen vergessen, wenn diese wichtige Frage nicht beantwortet wird. Aber immerhin ist sie eine Basis für die Berechnungen.“
Pauline freute sich über das Lob und fuhr fort: „Ja, implizit nimmt die Studie an, dass der Bürgergeld-Empfänger nichts mit der zusätzlichen Zeit anfängt, was wohl die absolute Ausnahme sein dürfte.“
„Implizit?“ fragte
Kurt Kappe, der Hersteller von Verschlüssen: „Was soll denn das schon wieder heißen?“.
Pauline antwortete: „Implizit heißt in diesem Zusammengenhang: ohne es zu erwähnen. Eine solche Auslassung ist wenig wissenschaftlich, weil derartige Einschränkungen genannt werden müssen, damit nicht wie im Falle des Bürgergeldes falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Es bleibt also ausgeblendet, was der Bürgergeld-Empfänger mit der zusätzlichen Zeit anfängt. Das kann alles ändern.“
Bernhard Birkenstock, der Leiter der Biomarktkette, meldete sich zu Wort: „Klar ist, dass alte, behinderte und kranke Menschen wohl kaum mit dem Bürgergeld auskommen können. Denn sie haben zusätzlichen Bedarf aufgrund des Alters, der Behinderung oder der Krankheit. Aber für die meisten Anderen dürfte es darauf ankommen, wie sie ihre freie Zeit nutzen.“
Stefan Steuer schlug ein Brainstorming vor: „Jetzt könnt Ihr mal kreativ werden und überlegen, was man mit – sagen wir - 35 Stunden pro Woche zusätzlich machen kann. Die implizite Ausgangslösung laut Studie besteht darin, dass man nichts Produktives macht. Auch wenn es einige Personen gibt, die dann einfach ihren Fernseh- und Internetkonsum hochfahren werden, gibt es viele attraktivere Möglichkeiten. Als Anregung erwähne ich das Interview im Spiegel, wonach ein Bürgergeldbezieher ausgeführt hat, dass er seiner Familie arbeitsbedingte Abwesenheiten nicht zumuten kann.“
Sofort gab es jede Menge Vorschläge, die Stefan Steuer sammelte und strukturierte. Er lobte die Runde: „Super, ich habe jede Menge Möglichkeiten erhalten. Die erste ist einfache Schwarzarbeit. Nehmen wir an, dass dem Bürgergeld-Empfänger 300 € pro Monat oder 75 € pro Woche fehlen (auch weil er keine Fahrkarten bzw. kein Auto für die Fahrt zur Arbeit benötigt). Wenn er nur 6 Stunden pro Woche schwarz zum Mindestlohn arbeitet, steht er sich schon besser.“
Andreas Ampel wandte ein: „Aber dann zahlt er auch nicht in die Rentenversicherung ein.“
Dieter Durchblick, der Wirtschaftsredakteur, musste das Argument entkräften: „Das stimmt zwar auf den ersten Blick. Aber wer immer nur für den Mindestlohn arbeitet, wird eine Rente erhalten, die nicht zum Leben genügt und somit vom Staat aufgestockt werden muss.“
Jetzt meldete sich wieder
Kurt Kappe und bestätigte: „Ich hatte letzte Woche eine Auseinandersetzung mit einem Mitarbeiter. Der sagte mir ins Gesicht, dass Arbeiten sich nicht lohne, weil immer größere Teile der Bevölkerung im Alter von der Sozialhilfe werden leben müssen. Zusätzliche Beiträge in die Rentenversicherung seien somit verloren. Hoffentlich spricht sich das nicht rum“
Stefan Steuer nannte nun eine weitere Möglichkeit der Zeitnutzung: „Von Einigen kam der Vorschlag, die Zeit zur Senkung von Ausgaben zu nutzen. Man könnte – wenn ein kleiner Garten vorhanden ist – Gemüse und Obst – selbst anbauen. Zudem könnte man in der freien Zeit zur Tafel gehen, um Lebensmittel zu bekommen und ggf. auch mitzuarbeiten, um etwas Sinnvolles zu tun. Auch eine Renovierung könnte man selbst machen anstelle teure Handwerker zu beauftragen.
Das Gefährlichste wäre aber eine Ausweitung der Schattenwirtschaft, in welcher eine Gruppe von Menschen bei Bezug von Bürgergeld sich gegenseitig versorgen, natürlich ohne die Zahlung von Steuern und Sozialabgaben.“
Dieter Durchblick, der Wirtschaftsredakteur, erwähnte: „Es muss ja nicht alles Schwarzarbeit sein. 100 € pro Monat dürfen dazuverdient werden. Alles, was darüber hinausgeht, wird weitgehend vom Bürgergeld abgezogen, was ja richtig ist.“
Stefan Steuer bestätigte diese Regel und fuhr fort: „Hier ist noch eine interessante Idee. Jemand, der faszinierende Hobbies hat, wird finanzielle Einschränkungen hinnehmen, wenn er dadurch viel Zeit für seine Hobbies gewinnt. Wenn diese Person sich für Geschichte interessiert, kann sie dann den ganzen Tag z. B. im Internet ihr Wissen ergänzen. Das ist für die Person verständlich, aber volkswirtschaftlich natürlich schädlich.“
„Dazu kommt das Desaster auf dem Wohnungsmarkt: Jemand, der eine günstige Wohnung hat, wird kaum noch umziehen, um aus dem Bürgergeld heraus in eine niedrig bezahlte Stelle in einer anderen Stadt zu gelangen. Selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt davor, dass Arbeitnehmer kaum noch umziehen können.“
Stefan Steuer wies zu Schluss daraufhin, dass die angestellten Überlegungen nicht langfristig ausgerichtet waren, denn Aspekte wie Beförderungen und Arbeitszufriedenheit wurden nicht betrachtet.“
Dieter Durchblick fasste zusammen: „Einzelwirtschaftlich ist Bürgergeld also häufig vorteilhaft, wenn die gewonnene Zeit sinnvoll genutzt wird.“
Auf dem Heimweg nahmen sich die Teilnehmer der Runde vor, insb. ihre gering bezahlten Mitarbeiter deutlich besser zu behandeln und zu bezahlen. Sie sollten nicht auf den Gedanken kommen, dass es sich nicht lohnen könnte, zur Arbeit zu kommen.
letzte Änderung P.D.P.H.
am 24.11.2023
Autor:
Prof. Dr. Peter Hoberg
Bild:
Bildagentur PantherMedia / bacho123456
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Autor:in
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Herr Prof. Dr. Peter Hoberg
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms. Seine Lehrschwerpunkte sind Kosten- und Leistungsrechnung, Investitionsrechnung, Entscheidungstheorie, Produktions- und Kostentheorie und Controlling. Prof. Hoberg schreibt auf Controlling-Portal.de regelmäßig Fachartikel, vor allem zu Kosten- und Leistungsrechnung sowie zu Investitionsrechnung.
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05.10.2023 10:10:09 - Biene
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