Working Capital – eine „ungenutzte“ Reserve?

Ufuk Senbayrak
Die Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCooper's (PwC) hat 2013 in einer Studie festgestellt, dass Unternehmen weltweit EUR 3,7 Billionen und Unternehmen in Deutschland EUR 180 Mrd. gebundenes Kapital in Form von Betriebsmitteln, also Umlaufvermögen abzgl. kurzfristiger Verbindlichkeiten, freisetzen könnten. Dabei hat sie festgestellt, dass allein in Deutschland ein enormes Potenzial bei den heimischen Unternehmen vorliegt. Es ist allgemein und unabhängig von der PwC Studie feststellbar, dass Unternehmen, je größer sie sind und je mehr Kapazitäten vorhanden sind, ihr Working Capital Management besser behaupten können, als kleinere Unternehmen.

Hieraus soll aber nicht unterstellt werden, dass generell die Intensität der Kapitalbindung mit der abnehmenden Unternehmensgröße zunimmt. Denn Ausnahmen gibt es zahlreiche. Dennoch ist die Optimierung der Betriebsmittel eine Managementfunktion, die für gewöhnlich nach wie vor in mittelständischen Unternehmen zu kurz kommt. Working Capital ist nicht nur eine Zahl, abgeleitet aus der Bilanz, sondern auch ein Vorgang bzw. ein Prozess der Entstehung und Bewegung von Liquidität im Unternehmen.

Working Capital und Zahlungsziele

Betrachten wir das Net Working Capital, so sprechen wir von
  1. Lieferantenverbindlichkeiten (Einkauf), 
  2. Vorräten (Produktion und Logistik) und 
  3. Kundenforderungen (Vertrieb, Rechnungserstellung und –abwicklung). 

Hier sind drei wichtige Bilanzpositionen und die dazugehörigen Unternehmenseinheiten aufgeführt, die als Zahnräder ineinander greifen und den Geldumschlag repräsentieren. Um den Geldumschlag, der sich über diese Knotenpunkte des Unternehmens bewegt, auf einem für das Unternehmen optimalen Niveau zu halten oder zu bringen, ist eine streng abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den involvierten Unternehmenseinheiten erforderlich. Optimal definiert sich zumindest insoweit, dass das Unternehmen, ausgenommen von Spitzen (z. B. saisonbedingt), stets in der Lage ist, das freigesetzte Kapital neu in den Betriebsablauf einzubinden und gleichzeitig einen bestimmten Überschuss an Liquidität zu erzeugen.

An dieser Stelle wollen wir kurz als Denkansatz folgendes einbringen. Die EU Direktive vom 16.02.2011 sieht mit dem Ziel der europäischen Harmonisierung vor, dass sich in Europa Unternehmen reguläre Zahlungsziele von bis zu 60 Tagen einräumen können. In Deutschland sind 30 Tage jedoch als Zahlungsziel vorgegeben. Was würde es nun heißen, wenn sich die Zahlungsziele verdoppeln würde?

Die Häufigkeit des Geldumschlags setzt sich wie folgt zusammen:
Geldumschlag = Ø Inkassozeit (Zeit von Rechnungsstellung bis Zahlungseingang) + Ø Lagerdauer – Ø Lieferantenzahlungsziele.

Nehmen wir an, Inkassozeit und Lieferantenziele betrugen jeweils 30 Tage, so würde sich bei Verdopplung dieser beiden Größen und bei Annahme einer gleichbleibenden Lagerdauer, am Geldumschlag, statisch betrachtet, nichts ändern. Jedoch gäbe es einen Einmaleffekt. Die absoluten Beträge der Forderungen und Lieferantenverbindlichkeiten und somit das gebundene Kapital (Working Capital) würden sich einmalig signifikant erhöhen.

Die Untersuchung wollen wir hier nicht weiter vertiefen, jedoch stellen wir an diesem Punkt schon fest, dass die Direktive für Unternehmen mit einer hohen Working Capital Quote eine enorme, weitere Herausforderung mit sich bringt, und zwar müssen die Unternehmen länger auf ihr Geld warten, was die Wiedereinbindung dieser Mittel ins Unternehmen erschweren wird. Insbesondere ist anzunehmen, dass Unternehmen mit deutlicher Marktmacht versuchen werden, auf die Zahlungsziele ihrer Abnehmer/Lieferanten einzuwirken, um die Vorteile der Direktive für sich ausnutzen.

Working Capital Management und Unternehmensgröße

Kommen wir wieder zurück zur These, dass das Working Capital Management in Bezug zur Unternehmensgröße stünde. Es kann aus vielen Richtungen bestätigt werden, dass im Gegensatz zu kleinen und mittelgroßen Unternehmen, große Unternehmen die Kapazitäten für Controlling Einheiten vorhalten können. Hierbei darf das Controlling nicht mit der Finanzbuchhaltung verwechselt werden. Die Finanzbuchhaltung liefert aus den gebuchten Belegen das Zahlenmaterial fürs externe Rechnungswesen und kann Vorgänge nur retrospektiv und statisch abbilden.

Das Controlling wiederum arbeitet mit der Finanzbuchhaltung zusammen und/oder ist im Finanzmanagement gemeinsam mit der Finanzbuchhaltung eingegliedert. Das Controlling bedient sich der Daten aus der Finanzbuchhaltung, um der Unternehmensführung Steuerungsinstrumente an die Hand zu geben. Es erstellt gemäß den Zielvorgaben der Unternehmensführung Geschäftspläne, überwacht den Verlauf der Performance im Vgl. zur Planung, analysiert die Abweichungen und, vor allem, es gibt Handlungsempfehlungen, abgeleitet aus den Analyseresultaten, an die Unternehmensführung weiter.

Mit Blick auf das Working Capital, kann das Controlling durch Einbezug der involvierten Unternehmenseinheiten mittels Zielvorgaben im Debitoren-, Kreditoren- und Vorrätemanagement Optimierungen im Working Capital verfolgen, Abweichungen analysieren und Handlungsempfehlungen bei Fehlabweichungen aussprechen, wodurch das Management in die Lage versetzt wird, vorausschauend seine Betriebsmittel zu steuern. Das wiederum mündet in folgenden Resultaten:
  • Stärkung des Innenfinanzierungspotenzials und der eigenen Liquidität
  • Minderung der Abhängigkeit von teuren Krediten
  • Steigerung der Rentabilität durch eine Reduzierung der Kapitalkosten

Suboptimale Kapitalbindung: Folge von Fehlern im Controlling

Zusammenfassend halten wir fest, dass der Grund für suboptimale Kapitalbindungen, ergo gebundene Liquidität, nicht unbedingt auf die Größe des Unternehmens zurückzuführen ist, sondern auf die Existenz und die Qualität des Controllings. Insofern übernimmt das Controlling neben den bekannten Aufgaben des Kostenmanagements auch steuernde Aufgaben im Cash- und Liquiditätsmanagement, damit der Geldumschlag im Unternehmen nicht stockt, und im Falle einer Erfolgs- und Ertragskrise, nicht zur Liquiditätskrise ausartet.

Natürlich räumen wir ein, dass ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von EUR 10 Mio. nicht mit einer Controlling Abteilung aufwarten kann, wie man es bei Unternehmen mit einem 5 - 10-fach so großen Jahresumsatz erwarten oder auffinden könnte. Abgesehen davon, stellt sich oft heraus, dass ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 10 Mio. nicht selten keine eigene, ordentliche Finanzbuchhaltung hat, da diese (teilweise) zum Steuerberater ausgesourct ist.

Somit liegen die Optimierungschancen im Unternehmen auf der Hand. Das Management der Betriebsmittel ist nämlich eine Kombination aus Umdenken im Unternehmen, organisatorischen Umstellungen zu mehr Transparenz sowie eine Erweiterung der Steuerungsinstrumente. Konkret bedeutet das: Das Working Capital Management ist eine Aufgabe des Controllings, die jedes Unternehmen unabhängig von seiner Größe benötigt. Denn Working Capital ist keine Reserve, sondern Liquidität, die ein Unternehmen stetig für sein Bestehen und sein Wachstum benötigt. Working Capital ist eine Kennzahl, die der Geschäftsführung stetig zugänglich sein sollte. Jedoch möchten wir auch darauf hinweisen, dass man beim Aufbau eines Controllings die knappen Ressourcen kleiner Unternehmen im Auge behält und daher den Weg des Pragmatischen nicht verlässt.





letzte Änderung U.S. am 25.08.2024
Autor:  Ufuk Senbayrak
Bild:  PantherMedia / Erwin Wodicka


Autor:in
Herr Ufuk Senbayrak
Ufuk Şenbayrak, Freier Unternehmensberater und Inhaber der RMS MITTELSTANDSBERATUNG ŞENBAYRAK
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