Kurz vor Silvester kann man gelegentlich an Geschäftseingängen lesen: "Wegen Inventur geschlossen". Doch nicht nur in diesen Geschäften wird eine
Inventur gemacht. Vielmehr müssen alle Unternehmen, die
bilanzierungspflichtig sind, einmal jährlich eine Inventur durchführen. Was dabei zu beachten ist, welche Arten der Inventur es gibt und wie Inventur,
Inventar und Bilanz miteinander zusammenhängen, erklärt der folgende Artikel.
Gesetzliche Grundlagen für Inventur und Inventar
Stichwort: Inventur
Inventur wie auch Inventar leiten sich vom lateinischen Wort "inventarium" ab, was so viel wie "Gesamtheit des Gefundenen" bedeutet. "Inventarium" wiederum geht auf das Verb "invenire", "etwas finden", zurück. Das Handelsgesetzbuch (HGB) verwendet den Begriff "Inventar" ohne eine konkrete Definition im Sinne eines exakten Verzeichnisses aller Vermögensgegenstände und Schulden eines Unternehmens (§ 240 Abs. 1 HGB).
Ein solches
Verzeichnis ist zu
Beginn der unternehmerischen Tätigkeit (ebenda) und am Schluss eines jeden
Geschäftsjahres (§ 240 Abs. 2 HGB) aufzustellen. Der "Schluss des Geschäftsjahres" umschreibt den Bilanzstichtag. Damit gilt diese Vorschrift auch für den Verkauf oder die Auflösung von Firmen. Neben dieser
handelsrechtlichen Verpflichtung, ein Inventar zu erstellen, gibt es auch eine steuerrechtliche. Allerdings verwendet die Abgabenordnung (AO) nicht den Begriff "Inventar", sondern "jährliche
Bestandsaufnahmen" (§ 141 Abs. 1 Satz 1 AO). Zudem wird auf § 240 HGB verwiesen, der sinngemäß gelte (§ 141 Abs. 1 Satz 2 AO).
An dieser Stelle legt die Abgabenordnung zugleich eine Untergrenze für die
Buchführungspflicht – und damit auch für die Erstellung eines Inventars – fest: Demnach gilt diese Pflicht nur für Unternehmen, die einen Gesamtumsatz von mehr als 600.000 € im Kalenderjahr (im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 1 UStG – Umsatzsteuergesetz) oder einen
Gewinn aus Gewerbebetrieb von mehr als 60.000 € im Wirtschaftsjahr erzielen (§ 141 Abs. 1 Satz 1 AO). Freiberufler und Kleingewerbetreibende sind von der Pflicht der Erstellung eines Inventars ausgenommen.
Die Vorschriften für eine ordnungsgemäße Inventur sind heute Bestandteil der
Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB). Dabei sind insbesondere folgende
Grundsätze zu beachten:
-
Vollständigkeit der Bestandsaufnahme
- Klarheit und Nachprüfbarkeit der Bestandsaufnahme
- Einzelerfassung bei der Bestandsaufnahme
- Richtigkeit der Bestandsaufnahme (§ 246 Abs. 1 HGB)
Im Übrigen ist zu beachten, dass der Begriff "Inventar" gelegentlich nicht nur für das Verzeichnis der Gesamtheit aller Vermögenswerte und Schulden, sondern auch für die Gesamtheit selbst verwendet wird.
Arten der Inventur
Als "Inventur" werden die Maßnahmen zur Erstellung eines Inventars im Sinne eines
Bestandsverzeichnisses bezeichnet. Dies ist zum einen die
körperliche Inventur, bei der durch sämtliche gegenständliche Vermögensbestandteile durch Zählen, Messen und Wiegen nach Art, Menge und Wert festgehalten werden. Bei schwer erfassbaren Vermögensgegenständen, etwa einer großen Menge Sand, sind auch Schätzungen erlaubt.
Zum anderen werden in der
buchmäßigen Inventur die immateriellen Vermögensgegenstände (wie Bankguthaben oder Patente) und die Schulden (wie Verbindlichkeiten gegenüber Banken oder Lieferanten) aufgenommen.
Nach § 240 Abs. 2 HGB ist ein Inventar zum
Bilanzstichtag zu erstellen. Bei den meisten Unternehmen entspricht das Wirtschaftsjahr einem Kalenderjahr; dementsprechend wäre die Inventur am Silvestertag durchzuführen. Bei vielen Unternehmen reicht aber ein Tag für die Inventur nicht aus.
Deshalb erlaubt die Finanzverwaltung in R 5.3 Abs. 1 Satz 2 EStR (Einkommensteuer-Richtlinien) die ausgeweitete
Stichtagsinventur: Bei ihr kann die Stichtagsinventur innerhalb von zehn Tagen vor und zehn Tagen nach dem Bilanzstichtag stattfinden. Sollten zwischen der Erfassung der Vermögensgegenstände und dem Bilanzstichtag noch Zu- oder Abgänge stattfinden, so sind die Vermögenswerte bis zum Bilanzstichtag fortzuschreiben oder zurückzurechnen.
Mehr zur Stichtagsinventur hier >>
Inventurvereinfachungsverfahren
§ 241 HGB trägt den Titel "
Inventurvereinfachungsverfahren" und erlaubt weitere Arten der Inventur. Eines dieser Verfahren ist die Stichprobeninventur nach § 241 Abs. 1 HGB, die insbesondere in großen Unternehmen und Konzernen angewendet wird. Dabei können aus großen Waren- oder anderen Beständen Stichproben genommen und auf den Gesamtbestand hochgerechnet werden. Allerdings dürfen dafür nur anerkannte mathematisch-statistische Methoden angewendet werden und muss das Ergebnis dem eines körperlichen Inventars gleichkommen (§ 241 Abs. 1 Satz 3 HGB).
Mehr zur Stichprobeninventur hier >>
Erlaubt ist auch die
permanente Inventur nach § 241 Abs. 2 HGB, bei der die körperliche Inventur über das Geschäftsjahr verteilt stattfinden kann, wenn die GoB (Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung) eingehalten werden. Mit modernen
Softwareprogrammen können diese Bedingungen in der Regel erfüllt werden. So können nach und nach verschiedene Warengruppen und andere Vermögensgegenstände, wie Maschinen, Anlagen oder Fahrzeuge, gezählt, gemessen oder gewogen werden und das Ergebnis dann bis zum Bilanzstichtag fortgeschrieben werden.
Mehr zur permanenten Inventur hier >>
Wenn die bisher genannten Verfahren für ein Unternehmen ungünstig sind, ist auch die
vor- oder
nachverlegte Stichtagsinventur nach § 241 Abs. 3 HGB möglich. Sie ist, salopp gesagt, eine großzügigere Variante der ausgeweiteten Stichtagsinventur. Denn in diesem Fall ist die Stichtagsinventur innerhalb von drei Monaten vor bis zwei Monaten nach dem Bilanzstichtag möglich. Auch muss eine Wertfortschreibung oder -rückrechnung zum Bilanzstichtag erfolgen (§ 241 Abs. 3 Nr. 2 HGB).
Mehr zur verlegten Inventur hier >>
Tipps für die Durchführung körperlicher Inventuren
Vermögensgegenstände körperlich zu erfassen, ist in der Regel mit einem größeren Aufwand verbunden. Oft werden dafür eigens
Inventarhelfer engagiert. Auch wenn die digitale Erfassung von Waren, etwa mit einem Handscanner, auf dem Vormarsch ist, werden Inventuren teilweise noch immer mit Klemmbrett und Stift durchgeführt. Dann müssen die Daten anschließend ins Warenwirtschaftssystem oder ins
ERP-System übertragen werden (ERP – Enterprise Resource Planning).
In jedem Fall sollte eine Inventur gut vorbereitet werden. Dem oder der Inventurverantwortlichen ist zu empfehlen, mindestens einen
Zeitplan und einen
Personalplan aufzustellen, besser zusätzlich noch einen Raum- oder Abschnittsplan und einen Ablaufplan. Nach Möglichkeit sollten beispielsweise in einem Lager Verpackungen entfernt und der Bestand nach Warengruppen geordnet werden. Klemmbretter, Formulare, Stifte, Waagen, Maßbänder, Laptops, Scanner und andere wichtige Utensilien sind in ausreichender Zahl vorzuhalten.
Die gebildeten
Zählteams sollten mindestens aus einem Zähler und einem Schreiber bestehen, womit auch das
Vier-Augen-Prinzip eingehalten wird. Weiterhin ist es besser, wenn Mitarbeiter aus dem Lager, dem Verkauf, der Buchhaltung oder anderen Bereichen nicht für die Zählung der Vermögensgegenstände eingesetzt werden, für die sie verantwortlich sind. Durch diese Vorkehrung soll verhindert werden, dass ein Mitarbeiter beispielsweise einen Diebstahl in seinem Verantwortungsbereich vertuschen kann. Teams mit externen Inventurhelfern sollte wenigstens ein Firmenangehöriger angehören.
Auch wenn zu Beginn einer Inventur üblicherweise klar sein sollte, was genau zu tun ist, kann eine kleine Erinnerung an die
Zählregeln durch den Inventurverantwortlichen hilfreich sein. Beispielsweise sollte immer von oben nach unten und von links nach rechts gezählt werden, um Doppelzählungen oder die Nichterfassung von Gegenständen zu vermeiden. Am Ende müssen Zähler, Schreiber und Kontrolleure die von ihnen erstellten Listen unterschreiben. Der Inventurverantwortliche sollte stichprobenartig Kontrollzählungen durchführen oder veranlassen.
Eine
Erleichterung der Inventur bietet das HGB bei
Sachanlagevermögen sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen an: Wenn diese Gegenstände "regelmäßig ersetzt werden und ihr Gesamtwert für das Unternehmen von nachrangiger Bedeutung ist" (§ 240 Abs. 3 Satz 1 HGB), dann können ihre Menge und ihr Wert als gleichbleibend angesetzt werden. Alle drei Jahre muss dann aber trotzdem gezählt werden (§ 240 Abs. 3 Satz 2 HGB). Außerdem können gleichartige Vermögensgegenstände jeweils zu Gruppen zusammengefasst und "mit dem gewogenen Durchschnittswert angesetzt werden" (§ 240 Abs. 4 HGB).
Inventurdifferenzen und ihre Folgen
Die Inventur ist auch als eine
Kontrolle der
Buchführung anzusehen. Wenn die in der Inventur erfassten Daten und Werte nicht mehr denen in der Buchhaltung übereinstimmen, dann sind die Buchwerte zu korrigieren. Aus diesem Grund kommt der Inventur auch eine wichtige Bedeutung zu: "Fehlt eine körperliche Bestandsaufnahme, oder enthält das Inventar in formeller oder materieller Hinsicht nicht nur unwesentliche Mängel, ist die Buchführung nicht als ordnungsmäßig anzusehen", heißt es in R 5.3 Abs. 4 Satz 1 EStR. Eine Bilanz, die auf einer fehlerhaften Inventur aufbaut, kann vom Finanzamt als nichtig angesehen werden; dann können die Finanzbeamten Umsatz und Gewinn schätzen.
Wenn es
regelmäßig deutliche
Differenzen zwischen dem
Istbestand in der Inventur und dem Sollbestand in der Buchhaltung gibt, dann könnten Diebstähle von Kunden oder Personal die Ursache dafür sein. Dies könnte beispielsweise durch die Installation von Überwachungskameras aufgeklärt werden. Auch Warensicherungen oder Verkaufsträger, die den Diebstahl hemmen, könnten eine Konsequenz aus Inventurdifferenzen sein.
Wenn immer wieder
Ware zu Bruch geht oder
verdirbt, sollten Vorkehrungen getroffen werden, um diese Art Schwund zu verringern. In einem Geschäft können auch Fehler beim Scannen oder bei der Entgegennahme von Bargeld vorkommen; auch hier könnte durch geeignete Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden. Auf diese Weise können Unternehmen Inventurdifferenzen auch nutzen, um ihren Betrieb besser zu organisieren.
Inventar und Bilanz
In den vorherigen Abschnitten hat sich schon angedeutet, wie Inventar und Bilanz miteinander zusammenhängen: Ohne ein durch eine Inventur erstelltes Inventar in Form einer Bestandsliste kann keine Bilanz aufgestellt werden, die den GoB entspricht. Man könnte auch sagen, dass die
Bilanz eine zusammenfassende
Darstellung des Inventars ist. Denn während in der Inventur die Einzelgegenstände zu erfassen sind – von erlaubten Ausnahmen abgesehen –, fasst die Bilanz Vermögensgegenstände und Schulden nach der Gliederung in § 266 HGB zusammen.
Inventare zählen zu den Bilanzunterlagen. Deshalb müssen auch sie, wie die Bilanz selbst, nach § 257 Abs. 1 Nr. 1 HGB zehn Jahre lang aufbewahrt werden. Dies gilt übrigens auch für alle Aufzeichnungen und Notizen, die während einer Inventur angefertigt werden.
letzte Änderung S.P.
am 01.09.2022
Autor(en):
Stefan Parsch
Bild:
panthermedia.net / Andriy Popov
|
Autor:in
|
Herr Stefan Parsch
Stefan Parsch ist freier Journalist und Lektor. Er schreibt Fachartikel für die Portale von reimus.NET und Artikel über wissenschaftliche Themen für die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Für den Verein Deutscher Ingenieure lektoriert er technische Richtlinien. Mehr als zwölf Jahre lang war er Pressesprecher der Technischen Hochschule Brandenburg.
|
weitere Fachbeiträge des Autors
| Forenbeiträge
|